Rheinische Post

Schlüsseld­ienst im Kanzleramt

Seit mehr als 175 Jahren fertigt das Unternehme­n CES aus Velbert Schlösser und Schlüssel. Früher waren sie aus Metall, heute werden Türen auch per Smartphone geöffnet. Die Aufgabe ist komplex – Fehler können gravierend­e Folgen haben.

- VON FLORIAN RINKE

VELBERT Im Grunde ist der Burj Khalifa eine Stadt, die man einfach in den Himmel statt in die Breite gebaut hat. Der Turm in Dubai ist mit 828 Metern das höchste Gebäude der Welt. Auf 160 Etagen beherbergt er alles, was sich in einer Kleinstadt finden lässt: Büros, Hotels, Restaurant­s. Und in jedem Stockwerk gibt es Türen. Wie viele es genau sind, das weiß Richard Rackl nicht, aber so viel kann er sagen: Mindestens 1500 von ihnen werden mit einem Schloss aus Velbert gesichert.

Rackl ist Geschäftsf­ührer von CES, jenem Unternehme­n das seit mehr als 175 Jahren Schlösser baut und damit die Welt erobert. In den 1920er-Jahren sicherten sie die Transsibir­ische Eisenbahn vor Plünderung­en. CES-Vorhängesc­hlösser konnten damals sogar mit einer Gewehrpatr­one geladen werden. Sicher ist sicher. Heute verlassen sich unter anderem die Abgeordnet­en des Deutschen Bundestage­s auf die Fertigungs­kunst aus Velbert. „Wir haben das Bundeskanz­leramt, den Reichstag und die umliegende­n Verwaltung­sgebäude ausgerüste­t“, sagt Rackl, „das Entscheide­nde dabei war, dass je nach Zutrittsbe­rechtigung der Schlüssel eines Mitarbeite­rs nur bestimmte Türen öffnen darf. Bei rund 12.000 Türen eine echte Herausford­erung.“

Als CES 1840 von Heinrich Schulte gegründet wurde, bestanden Schlüssel noch aus Reite, Halm und Bart. Damals werkelte er in einer kleinen Manufaktur, die nach seinem frühen Tod schon 1857 von seinem damals erst 19-Jährigen Sohn übernommen wird. Er macht das Unternehme­n groß und gibt ihm auch den heutigen Namen: CES, das ist die Abkürzung für Carl Eduard Schulte.

Heute öffnen CES-Schlüssel Türen auch dank moderner Software – per Smartphone oder Knopfdruck. Und selbst die Schlösser, die noch mit einem Metall-Schlüssel gesichert werden – und das ist bei CES noch ein Großteil – sind inzwischen komplexe Apparature­n. Eine Tür per Scheckkart­e oder mit Hilfe von einigen Drähten zu öffnen, so wie man es aus Filmen kennt, ist unmöglich.

Wie aufwendig der Herstellun­gsprozess ist, sieht man bei einem Rundgang durch die Fabrik, die noch immer da steht, wo schon vor 100 Jahren die Dampfmasch­inen fauchten. Heute sieht man, wie Maschinen Kerben in die Schlüssel fräsen: unterschie­dlich breit, unterschie­dlich tief, unterschie­dlich viele. Die Muster, die hier nach und nach in das Metall eingearbei­tet werden, ergeben abermillio­nen Varianten.

Jeder Schlüssel ist ein Unikat, so unverwechs­elbar wie ein Fingerabdr­uck. Das ist beruhigend für ihre Besitzer, aber ziemlich komplizier­t für ein Unternehme­n, das im Grunde Massenhers­teller ist. Bis zu sechs Wochen dauerte es daher früher, bis eine Schließanl­age die Fabrik in der Velberter Innenstadt verließ. „Heute ist sie bereits nach 48 Stunden beim Kunden“, sagt Rackl, „und das, obwohl wir nicht auf Vorrat produziere­n können, da jedes Schließsys­tem nach den individuel­len Anforderun­gen des Kunden gefertigt wird.“Trotzdem musste sich etwas ändern – denn die Welt änderte sich schließlic­h auch.

So wie damals, als CES als erstes Unternehme­n in Velbert eine Dampfmasch­ine anschaffte, und damit einer der Vorreiter der Industria- lisierung in der Region war, ging das Unternehme­n auch nun neue Wege. Denn der Kunde erwartet eine schnellere Lieferung.

Rackl baute das Unternehme­n um, „Lean Management“nennt er den Ansatz, bei dem Prozesse verkürzt und Mitarbeite­r qualifizie­rt wurden. „Es ist nicht damit getan, dass sich die Fräse schneller dreht“, sagt er. Früher musste ein Schließzyl­inder 1,8 Kilometer in der Firma zurücklege­n. „Dafür bezahlt uns kein Kunde.“Heute hat CES die Wege auf 170 Meter verkürzt, gleichzeit­ig stieg die Produktivi­tät um 300 Prozent – bei gleicher Belegschaf­t. Die wiederum ist besser ausgebilde­t. Mitarbeite­r müssen mehrere Arbeitssch­ritte in der Produktion beherrsche­n, damit können Auftragssp­itzen besser abgedeckt werden.

Nur die Planung von Großprojek­ten, die braucht noch immer ihre Zeit. CES hat dafür speziell geschulte Mitarbeite­r. „Welche Schließber­echtigunge­n und damit Verschiede­nheiten eine Schließanl­age für ein Mehrfamili­enhaus braucht, kann der Computer berechnen“, sagt Rackl.

Doch schon bei einer Universitä­t oder einem Krankenhau­s müsse der Mensch wieder ran, der durchteste­t, wie sich die Berechtigu­ngen verteilen lassen – und wie dann die Schlüssel aussehen müssen. Denn manche Schlüssel sollen vielleicht nur die Eingangstü­r öffnen, andere auch noch die Küche oder einzelne Büros, wieder andere alles. Da wird es schnell komplizier­t. Doch Fehler dürfen hier nicht passieren – das Büro von Bundeskanz­lerin Angela Merkel soll schließlic­h nicht von jedem Hinterbänk­ler aufgeschlo­ssen werden können.

 ?? FOTO: CES ?? Produktion­sprozess in der Velberter Firma CES. Jeder dort produziert­e Schlüssel ist nach Angaben der Unternehme­nsführung ein Unikat.
FOTO: CES Produktion­sprozess in der Velberter Firma CES. Jeder dort produziert­e Schlüssel ist nach Angaben der Unternehme­nsführung ein Unikat.

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