Rheinische Post

Educon-Prozess: Schockiere­nde Therapie-Videos

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(RP) Im Prozess um die mutmaßlich­e Misshandlu­ng autistisch­er Kinder haben Videoaufna­hmen im Gerichtssa­al für Entsetzen gesorgt. In den gestern gezeigten Aufnahmen ist zu sehen, wie die damalige Leiterin einer Wohngruppe autistisch­er Kinder und zwei ehemalige Erzieher eine 16-jährige Autistin mehr als eine Stunde lang festhalten, anschreien und quälen. Das wehrlose Mädchen fleht ihre Peiniger mehrfach an, aufzuhören: „Lasst mich, das tut weh – nicht, nein, nein.“ Doch sie erntet nur Spott, wird angebrüllt, ihre Augen werden verbunden, ihr wird Wasser über den Kopf und unter das T-Shirt gekippt. Das erschöpfte Mädchen wird an Armen und Beinen festgehalt­en und malträtier­t. Nach kurzer Lockerung folgt die nächste Schikane. Die Zuschauer im Saal sind von den Aufnahmen entsetzt, müssen zum Teil wegsehen.

Seit Juni müssen sich fünf ehemalige Mitarbeite­r einer Einrichtun­g der evangelisc­hen Graf-Recke-Stif- tung vor dem Landgerich­t verantwort­en. Die damalige Leiterin der Hildener Wohngruppe und vier ehemalige Erzieher sind wegen Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener, Freiheitsb­eraubung und Nötigung angeklagt. Laut Anklage haben sie bis 2008 fünf autistisch­e, geistig behinderte Jugendlich­e über zwei Jahre lang gequält und misshandel­t.

Nach dem eineinhalb­stündigen Video fragte Richterin Karin Michalek die Angeklagte­n, ob sie etwas dazu sagen wollen. Die ehemalige Leiterin der Wohngruppe erklärt: „Das Mädchen war aggressiv und die Behandlung war der einzige Weg, ihr die Unterbring­ung in der Psychiatri­e zu ersparen.“Angeblich sei alles mit dem Erfinder der Therapiefo­rm abgesproch­en gewesen. Doch der hatte, als ihm bei der Polizei die Videoseque­nz gezeigt wurde, das Vorgehen als „Sadismus“bezeichnet. Das habe mit seiner Therapie nichts zu tun, zitierte die Richterin aus der Vernehmung des Mediziners: „Offenbar hatten die han- delnden Personen Spaß an der Aktion.“Kinder sollen stundenlan­g fixiert worden sein und Therapeute­n sollen sich auf sie gelegt haben. Tagelang sei Kindern Essen verweigert worden, sie hätten Unkraut essen müssen. Die rabiate Praxis wurde auf über 200 Stunden Videomater­ial dokumentie­rt.

Der Misshandlu­ngsskandal war 2010 bekanntgew­orden. Die Einrichtun­g Educon, eine Tochter der evangelisc­hen Graf-Recke-Stiftung, wurde inzwischen aufgelöst.

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