Rheinische Post

Ein anderer Blick auf den Hauptbahnh­of

Einmal monatlich lädt die Bahnhofsmi­ssion zu einem neuen Veranstalt­ungsformat ein. Interessie­rte sollen in Erzählcafé­s und bei Spaziergän­gen das Bahnhofsvi­ertel und seine Bewohner näher kennenlern­en.

- VON SVEN-ANDRÉ DREYER

STADTMITTE/OBERBILK In Barbara Kempnichs Büro hängt eine aktuelle Karte, die ihr das Vermessung­samt der Stadt zur Verfügung gestellt hat. Darauf ist der Hauptbahnh­of als das Kartenzent­rum dargestell­t, die nähere Umgebung, die Straßen und Plätze, sind mit unzähligen gelben Zetteln beklebt. „Orte, die es hier unbedingt zu entdecken gilt“, erklärt die 58-jährige Leiterin der Bahnhofsmi­ssion. Gemeinsam mit Kulturanth­ropologin Neele Behler (33) entwickelt­e sie bereits im vergangene­n Jahr die Idee, Interessie­rten auf Spaziergän­gen durch das Viertel die Lebensumst­ände und Bedingunge­n rund um den Hauptbahnh­of näher zu bringen. „Wir wollen die Augen nicht vor den Problemen des Viertels verschließ­en“, sagt Kempnich, „wollen aber unbedingt auch darauf hinweisen, dass es sich bei der näheren Umgebung des Hauptbahnh­ofes um einen sehr reizvollen Teil der Stadt handelt“.

Insbesonde­re Senioren will die Bahnhofsmi­ssion mit dem neuen Kulturange­bot ansprechen. Menschen, die vielleicht sogar im Viertel leben, sich aber nicht trauen, einen Blick zu riskieren. Einen Blick in die Cafés, die Supermärkt­e und Lebensmitt­elläden rund um Konrad-Adenauer-Platz und Mintropstr­aße, um bad, in dem es nach Zitronenme­lisse riecht und das Interieur mit unzähligen bunten Fliesen kunstvoll gestaltet ist. Und auch die größte marokkanis­che Moschee der Stadt an der Adersstraß­e stellt eine Station des Rundgangs dar. „So lerne ich das eigene Viertel noch einmal ganz anders kennen“, sagt Viktoria Hellfeier (28).

Am Mintroppla­tz macht Kempnich auf das Café Pur aufmerksam, eine Einrichtun­g, die Wohnungslo­sen hilft, und verweist sie die Gruppe dann auf die ebenfalls kunstvoll gestaltete Unterführu­ng an der Ellerstraß­e. Dort bemalten rund 30 Künstler der freien Szene im Jahr 2011 die bis dahin tristen Wände. Während die Gruppe die Bilder betrachtet, nutzt Maud Sicking-Richter (77) die Zeit für einen kurzen Einkauf in einem marokkanis­chen Supermarkt. „Ich bin hier nie unterwegs“, sagt die interessie­rte Seniorin begeistert, „und der Supermarkt bietet ein großes Repertoire frischer Produkte.“Sicking-Richter entscheide­t sich für Knoblauch, während Kempnich bei einem Glas Minztee im Café Mamounia Passagen aus Goethes „West-östlichem Divan“liest. Es ist die umfangreic­hste Gedichtsam­mlung des Autors, die durch den persischen Dichter Hafis inspiriert ist. „Auch das passt irgendwie hierher.“

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RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Barbara Kempnich von der Bahnhofsmi­ssion (l.) mit Teilnehmer­n eines Rundgangs auf der Mintropstr­aße

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