„Wir alle sind göttliche Gesellen“
Der 75-jährige Maler und Bildhauer fürchtet die Rückkehr einer Kriegslüsternheit, hält die Mittelmäßigkeit für das Gefährlichste von allem und besingt in seinem neuen Buch Arkadien.
schaffen, wir sind als Maler beauftragt, den Menschen die Welt zu zeigen oder zu erklären. Ohne einen Sonnenuntergang von Turner würden die Menschen Sonnenuntergänge in ihrer Fülle nie erleben können. Mit dem Bild entdecken sie als Betrachter andere Möglichkeiten, der Welt zu begegnen. Empfinden Sie sich dann im Augenblick des Schaffens als einzigen Künstler? LÜPERTZ Nein, aber ich habe, wenn ich male, das Gefühl, die Welt hält den Atem an – weil der Meister arbeitet. Das ist eine Hybris, die mich mein ganzes Leben begleitet. Ich kann es nicht ändern. Gibt es auch ein Arkadien für Flüchtlinge?
Lüpertz Das ist eine Frage, die liegt nicht in meiner Kunst, sondern in meinem staatsbürgerlichen Verständnis. Ich bin ein Bürger dieses Landes und fühle die Verpflichtung, diesen Leuten nicht als Künstler, sondern als Mensch gegenüberzutreten. Ich versuche zu helfen, wo es geht – ohne die Entwicklung jetzt blauäugig zu sehen. In der Kunst dürfte dieses Thema vielleicht erst in 100 Jahren verarbeitet werden. In der Malerei und der bildenden Kunst geht es darum, in der Zeit zeitlos zu sein. Die einzige moralische Verantwortung der Kunst liegt in ihrer Qualität. Das ist als Maler Noch einmal zur Tagesaktualität: Fühlen Sie sich vor dem Hintergrund des jüngsten Terrors bedroht? LÜPERTZ Nein, das nicht. Es ist noch sehr unwahrscheinlich, von einem Terroristen wirklich ermordet zu werden. Noch. Aber ich glaube, dass eine allgemeine Kriegslüsternheit besteht. Und vor der habe ich Angst. Ich glaube, die Leute sind wieder so weit. Nach 70 Jahren Frieden in Europa drehen die Menschen völlig durch. Die Menschen wollen doch nur noch Ferien und Unterhaltung. Sie amüsieren sich nicht, sie grölen. Das Phänomen unserer Zeit ist: Die Leute wissen den Frieden nicht wirklich mit Leben zu erfüllen. Wir sind ja die erste Generation, die nicht in den Krieg ziehen und nicht die furchtbaren Erfahrungen machen musste. Und es verlangt eine außerordentliche Intelligenz und den Drang zur Selbstverwirklichung, um friedlich zu bleiben. Aktuell wollen die Leute unterhalten werden, sie gieren geradezu nach Animation und den Produkten der Unterhaltungsindustrie. Das ist übel. Das ist keine Gesellschaft mehr, die etwas fordert – etwa von den Künstlern, große Kunst zu bekommen. Stattdessen wünschen sie sich irgendeinen Schnickschnack. Und das tötet jeden Sinn. Den Frieden muss man leben. Ich glaube aber, die Leute wollen heute weltweit den Konflikt. Wir haben die Demokratie erlernt, aber wir haben es nicht geschafft, sie auch zu leben und mit ihr umzugehen. Ich bilde mir ein, dass dazu die Bildung das Entscheidende ist: die Leidenschaft für Wissen, die Leidenschaft für Bücher, die Leidenschaft für Zeit, die nicht kommerziellen Interessen dient. Das hat mit Erfüllung zu tun. Gehört dazu auch die Sorge oder Angst vor dem US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump? LÜPERTZ Eine solche Beurteilung steht mir nicht zu. Trump ist sicherlich ein Popanz – jetzt im Wahlkampf. Aber sollte er Präsident werden, kann er doch gar nichts anderes machen als das, was alle anderen Präsidenten vor ihm auch gemacht haben. Vor Trump habe ich jedenfalls nicht die geringste Angst. Aber wenn in der Politik solche Figuren nicht mehr auftauchen, dann wird sie selbst fragwürdig. Je schräger die Figuren sind, desto weniger gefährlich sind sie. Das Gefährlichste von allem ist die Mittelmäßigkeit.