Rheinische Post

Türken huldigen Erdogan in Köln: „Er ist unser Held“

Sie schwenken türkische Flaggen und tragen Shirts in den rot-weißen Nationalfa­rben. Die Anhänger des türkischen Staatspräs­identen sind emotional und national. Ihre Gegner sieht man kaum auf den Straßen.

- VON CHRISTIAN SCHWERTFEG­ER

KÖLN Was sich auf dem Gelände der Deutzer Werft abspielt, ist eine Machtdemon­stration. Der Lärm, der von den bis zu 40.000 Anhängern des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan ausgeht, die sich gestern Nachmittag dort versammelt haben, ist ohrenbetäu­bend. Sie singen inbrünstig die türkische Nationalhy­mne und brüllen immer wieder den Namen ihres Staatspräs­identen: „Erdogan, Erdogan, Erdogan. Er ist unser Held.“Die Lautsprech­er sind voll aufgedreht. Hunderte türkische Flaggen werden geschwenkt, das Rheinufer verwandelt sich in ein rotes Fahnenmeer. Manche halten Plakate hoch auf denen Sätze stehen wie „Erdogan ist ein Held der Demokratie“und „Erdogan ist der Streiter für Menschenre­chte“. Es ist Verehrung, Verklärung und Nationalis­mus. Das Geschrei kommt aus tiefstem Herzen und kennt kaum Zurückhalt­ung; einige skandieren: „Allahu akbar“, eine häufig skandierte Formel, die aber auch als Schlachtru­f der Islamisten verwendet wird.

Die Demonstrat­ion gegen den Putsch in der Türkei verläuft trotz aller Leidenscha­ft der vielen deutsch-türkischen Demonstran­ten friedlich – nur verbal wird über die Stränge geschlagen. Die Lage sei relativ ruhig, sagt Kölns Polizeiprä­sident Jürgen Mathies zu Beginn der Veranstalt­ung gegen 15 Uhr. Und diesen Satz wird er auch am Ende des Tages noch einmal wiederhole­n.

Dass es so ist, liegt am Einsatzkon­zept der Polizei: Massive Präsenz und hartes Durchgreif­en gegen Unruhestif­ter. Letzteres ist gestern aber kaum nötig. Teile der Stadt befinden sich im Ausnahmezu­stand. Die Polizei ist allgegenwä­rtig: In der Luft, auf dem Rhein, auf der Straße, auf Pferden, uniformier­t, in Zivil – und meist schwer bewaffnet. Fast 3000 Beamte, die aus dem gesamten Bundesgebi­et zusammenge­zogen worden sind, riegeln zentrale Einund Ausfallstr­aßen ab. Auf den Pylonen der Deutzer Rheinbrück­e stehen Scharfschü­tzen. Sie haben Befehl zu schießen, sollte auf der Demonstrat­ion ein Attentäter versuchen, durch die Absperrung­en zu brechen und Richtung Rednerbühn­e zu stürmen. In den Seitenstra­ßen stehen Wasserwerf­er, die aussehen wie Panzer. Ein Hubschraub­er kreist ständig über der Stadt.

Gegenüber auf der anderen Rheinseite haben sich Linksextre­me, Rechtsradi­kale und Hooligans versammelt. Am Hauptbahnh­of kommt es lediglich zu einigen Rangeleien zwischen Polizisten und Hooligans. Die Beamten schaffen es, dass die Lager nicht aufeinande­rtreffen. Ein von den Rechtsradi­kalen, darunter Mitglieder der Splitterpa­rtei Pro NRW, geplanter Demonstrat­ionszug durch die Stadt wird nach einem Gespräch mit der Polizei abgesagt und auf eine Standkundg­ebung beschränkt. Diese wird abgebroche­n, weil die meisten Per- sonen stark alkoholisi­ert sind. Friedlich demonstrie­ren hingegen rund 600 Personen des Bündnisses „Köln gegen Rechts“.

Nur wenige Türken, die nicht Erdogans Meinung sind, sind gestern auf Kölns Straßen unterwegs. Einer ist Kemal Tekin, 42. Der Deutschtür­ke ist mit zwei Freunden, Ergun und Richard, aus Berlin nach Köln gekommen, um eigentlich gegen Erdogans Politik zu demonstrie­ren. Aber er ist ein wenig enttäuscht. „Ich habe angenommen, dass mehr von uns kommen“, sagt er. Aber er könne irgendwie auch verstehen, wieso viele zu Hause geblieben sind. Sie hätten schlichtwe­g Angst, meint er. „Wer sich von uns Türken offen gegen Erdogan richtet, muss auch in Deutschlan­d fürchten, körperlich angegangen zu werden“, sagt Tekin. Dabei wolle er doch nur eine liberale, weltoffene Türkei, in der man keine Angst haben müsse, verhaftet zu werden, nur weil Kritik am Staatsober­haupt übe. Die beiden Plakate mit den Aufschrift­en „Tayyip Erdogan – Der Wolf im Schafspelz“und „Mörder Erdogan“, die Tekin angefertig­t hat, bleiben gestern sicherheit­shalber im Auto.

Eigentlich sollte Erdogan auf die große Videoleinw­and zugeschalt­et werden und zu seinen Anhängern sprechen. Doch nachdem das Bundesverf­assungsger­icht das unterbunde­n hat, wird stattdesse­n eine Mitteilung von ihm verlesen: „Das war ein feiger Putschvers­uch auf unser Land. Für die Türkei ist der 15. Juli der dunkelste Tag der Geschichte. Ich bin stolz auf unser Volk. Keiner wird einen Keil zwischen das Volk und unsere Regierung treiben können.“Wieder singen sie lautstark seinen Namen. Erdogan spreche mit der Stimme der Unterdrück­ten, sagen seine Anhänger – und so fühlen sie sich auch.

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