Vielleicht mag ich dich morgen
Und jetzt rate mal, wo ich ihn gefunden habe, bis zu den Pfoten in orangefarbenem Dünnschiss? In meiner Unterhosenschublade, die ich halb offen gelassen hatte. Nun kann ich mit Fug und Recht behaupten, dass mir eine Katze ins Höschen geschissen hat.“Geschüttelt von Gelächter, fuhr Anna zurück und schlug die Hand vor den Mund. „Der arme Luther!“
„Dann haute er ab, und etwas hing ihm aus dem Hintern, das wie eine Karotte aussah.“James beugte sich noch weiter vor und fügte mit erotischem Timbre in der Stimme hinzu: „Aber die Unterhose, die ich heute anhabe, ist frisch gewaschen, Baby. Über das mit der hängenden Karotte sprechen wir später.“
Anna erbebte noch einmal. James grinste. Ich kann sie noch alle um den Finger wickeln, wenn ich mich richtig reinknie, dachte er. So sehr war er damit beschäftigt, sich in seinem Erfolg zu sonnen und sich an Annas Gesichtsausdruck zu weiden, dass er es zunächst gar nicht bemerkte. Es hatte geklappt wie am Schnürchen: TV-Tim stand direkt neben ihm.
„Hallo, ich möchte ja nicht stören. Sind Sie Dr. Alessi?“
„Richtig. Hallo“, erwiderte Anna ein wenig erschrocken, fasste sich rasch und schüttelte ihm die Hand.
„Und Sie sind . . .?“, wandte sich TV-Tim an James. Der Nachsatz Ein Niemand stand ihm ins Gesicht geschrieben.
„Ich muss dringend mal für kleine Jungs. Entschuldigt mich bitte“, meinte James mit einem Lächeln in Annas Richtung und verdrückte sich.
Als er zurückkam, waren die beiden noch immer ins Gespräch ver- tieft. TV-Tim warf ihm einen Blick zu. Ja, schon gut, du hast gewonnen, dachte James. Aber nur, weil ich mir keine Mühe gegeben habe.
Er steuerte auf die Tür zu, wo er von einem blassen Rotschopf angerempelt wurde.
„Verzeihung“, sagte James ganz automatisch.
Es folgte keine Entschuldigung. Stattdessen betrachtete der Mann ihn mit unverhohlenem Hass. Es war ein Blick, der töten sollte. James zuckte zusammen wie in einem Zeichentrickfilm und schaute sich nach dem Adressaten dieses Blicks um, da er nicht glauben konnte, dass er selbst gemeint war.
Sehr seltsam. Und noch seltsamer war . . . Neben dem Burschen stand eine kleine, rundliche Frau. Machte die einen auf kesser Vater? Die beiden sahen aus wie Statisten in Der Hobbit.
James kam zu der Erkenntnis, dass es hier genauso von Spinnern wimmelte wie bei Parlez. Nur dass diese Spinner einen Doktortitel hatten.
Er machte sich auf den Weg. Als er in die ernüchternd kalte Nacht hinaustrat, fragte er sich, ob Annas Abend wohl so enden würde wie seine Betriebsfeiern vor langer Zeit.
Als er eine Stunde später, eine aufgerissene Luftpolsterpackung Shrimpcracker auf der Brust, auf dem Sofa abhing, erhielt er zu seinem Erstaunen die Antwort auf diese Frage. Sein iPhone kündigte mit einem Zirpen eine SMS an. Von Anna. Wollte sie sich etwa bei ihm bedanken? Hoffentlich nicht. Auf eine Bestätigung dieses Grauens konnte er nämlich gut verzichten. Plötzlich fühlte er sich einsam. Er hielt das Telefon hoch, entsperrte es, tippte sein Passwort ein und las die Nachricht.
HAST DU ES GEWUSST? Du hast es gewusst, oder?
Die Shrimpcracker fielen zu Boden, als er antwortete. Äh? Was? *Bzzzz* DAS MIT TIM Das musst du mir näher erklären, Anna. Ich blicke nicht durch . . .? *Bzzzz* ER IST SCHWUL. ER IST RÜBERGEKOMMEN, WEIL ER AUF DICH STEHT.
Oh, nein! Sorry. Haha. Vermutlich hätte ich besser auf die Schuhe achten sollen. Jx PS: Gibst du mir seine Nummer?
Gratuliere, Aurilijanna!“, jubelte Patrick und vollführte beim Betreten von Annas Büro eine kleine slapstickhafte Verbeugung. Er sprach ihren Vornamen nicht richtig aus, doch sie sparte sich die Mühe, ihn zu verbessern. „Wie fühlen wir uns heute Morgen? Ruhmesbekränzt? In Eselsmilch gebadet?“
„Leidend“, erwiderte Anna. „Allerdings für einen guten Zweck.“
Sie schwebte auf Wolke sieben. Mit Theodora hätte es nicht besser klappen können, und nun malte sie sich aus, wie die Besucher durch die Türen strömten. Sie nahm sich vor, dem€ nächst inkognito ins Museum zu gehen. Genau genommen schwebte sie zwar auf Wolke sieben, gleichzeitig aber hatte sie den Eindruck, dringend eine GanzkörperBluttransfusion zu benötigen. Ächz . . . Der Champagner flatterte in ihrem Magen herum wie ein von einer Biene gestochener Schmetterling. „Hat es dir gefallen?“„Schon, aber ich musste früh weg. Angelegenheiten der Gilde.“
Anna nickte verständnisvoll, obwohl sie ihm ausnahmsweise nicht so recht glaubte. Patrick mochte keine Menschenansammlungen oder Großereignisse. Sofern sie sich nicht aus Pixeln zusammensetzten.
„Du warst die Ballkönigin“, sagte Patrick verlegen.
„Oh, nein. Ich war doch nicht etwa sturzbetrunken und habe allen zugewinkt wie damals, als wir beim Historikerball über diese theologische Abhandlung mit dem Titel ,Gottes Penis und die göttliche Sexualität’ diskutiert haben?“
„Nein, nein, nein. Du warst schlagfertig. Hinreißend.“Dennoch wurde Anna das Gefühl nicht los, dass Patrick ihr noch etwas zu sagen hatte.
„Tim McGovern schien sehr an deiner Arbeit interessiert zu sein“, fuhr er fort. „Ich habe beobachtet, dass ihr euch eine halbe Stunde lang angeregt unterhalten habt. Hoffentlich entführt er dich nicht, um dich zu seiner glamourösen Komoderatorin zu machen. Wir würden dich hier am University College nämlich vermissen.“
„Keine Sorge, er war wirklich ausschließlich an meiner Arbeit interessiert“, erwiderte Anna mit einem spöttischen Auflachen.
„Habt ihr . . . Telefonnummern ausgetauscht?“
Sie fand seine unverblümte Frage ein wenig aufdringlich. Dann fiel Anna ein, dass sie und James absichtlich eine Show abgezogen hatten, um Tims Aufmerksamkeit zu erregen. Unbeteiligte mochten daraus alle möglichen falschen Schlüsse ziehen. „Ha! Nein“, antwortete sie. „Ich glaube, er ist mit einer anderen Dame gegangen. Offenbar ein ziemlicher . . . Frauenverschleiß.“
Anna kicherte höhnisch.
(Fortsetzung folgt)