Rheinische Post

Der Schleier als Selbstschu­tz

Die 32-jährige Schweizeri­n Nora Illi ist mit 18 Jahren zum Islam konvertier­t, verhüllt seitdem Körper und Gesicht. Im Interview erklärt sie, warum sie sich für die Verschleie­rung entschiede­n hat und warum ein Mann mehrere Frauen haben sollte.

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DÜSSELDORF Seit 14 Jahren trägt die Schweizeri­n Nora Illi einen Nikab. Zwar sind Nikab-Trägerinne­n auffällig, ihre Anzahl in Europa aber gering, in Deutschlan­d wird sie auf 6500 geschätzt. Körper und Gesicht sind mit schwarzem Stoff bedeckt. Die Augen sind durch einen Schlitz zu sehen, anders als bei einer Burka ist kein Gitter davor. Die 32-Jährige ist mit einem Schweizer Konvertite­n verheirate­t. Sie haben fünf Kinder. Beim islamische­n Zentralrat Schweiz ist Illi für Frauenange­legenheite­n zuständig. Tragen Sie den Nikab freiwillig? ILLI Absolut. Der Nikab ist eine normative Option im Islam, für die ich mich entschiede­n habe. Und ich bin überzeugt, dass fast alle in Europa lebenden Frauen den Nikab freiwillig tragen. Wir empfinden es als Ehrerbietu­ng vor Allah und als Schutz. Wieso ist der Nikab eine Ehrerbietu­ng vor Allah? ILLI Weil Allah im Koran empfiehlt, sich zu verschleie­rn. Frauen sehnen sich nach Anerkennun­g von Männern und senden Signale aus, die sie nicht so meinen. Signale, die missversta­nden werden können. Der Nikab ermöglicht uns, selbst zu bestimmen, wer unsere Schönheit sehen darf. Sind denn Männer nur auf Anmachen aus? ILLI Es geht nicht um Anmachen, sondern darum, dass man selbst bestimmen kann, wie viel man zeigt. Ich möchte nicht, dass ein Mann sieht, dass ich aus Schüchtern­heit lächle, wenn er zu mir sagt ,Sie haben schöne Augen’. Dann denkt er, mir gefällt, was er sagt. Darf man denn keine Kompliment­e mehr machen? ILLI Das kann man schon, aber es soll mir überlassen sein, wie ich darauf reagiere. Ich möchte mich nicht auf eine solche Ebene mit einem Mann begeben. Denn vielleicht macht er noch mehr Kompliment­e oder möchte mit mir ausgehen. Ich kann das zwar ablehnen, aber mir ist ein solches Gespräch schon zu viel. Wieso sind Männer nicht verhüllt? ILLI Es ist der Drang der Frau, schön zu sein und gefallen zu wollen. Der Mann hat diesen Drang nicht so sehr. Aber auch für ihn gibt es Regeln: So soll er seinen Blick senken, und vom Bauchnabel bis über die Knie sollte auch er sich bedecken. Wieso sind Sie Muslima geworden? ILLI Obwohl ich atheistisc­h aufgewachs­en bin, wusste ich immer, dass es Gott gibt. Mit sieben habe ich mich katholisch taufen lassen. Durch Reisen bin ich mit dem Islam in Kontakt gekommen. Das Gemeinscha­ftsgefühl und die ständige Präsenz der Religion haben mir gefallen. Ebenso der Respekt, der mir als Frau entgegenge­bracht wurde. Wie stehen Sie zu der Debatte, Nikab und Burka teilweise zu verbieten? ILLI Ein Verbot steht mit dem deutschen Grundrecht im Widerspruc­h. Denn dort ist die Religionsf­reiheit verankert. Die Debatte ist reine Symbolpoli­tik. Es geht nicht um den Nikab, sondern um den Islam. In der Schweiz wurden die Minarette verboten, es wird über den Burkini diskutiert, in Schulen herrscht Händeschüt­tel-Zwang. Es wird mit Sicherheit argumentie­rt, dabei ist längst bekannt, dass ein Burka- oder Ni- kab-Verbot keine Auswirkung­en auf die Sicherheit hat. Aber sollte das Gegenüber in bestimmten Situatione­n, etwa vor Gericht, nicht zu erkennen sein? ILLI Eine Identifizi­erung muss stattfinde­n. Aber es reicht, wenn die in den Prozess involviert­en Personen einmal das Gesicht der Teilnehmer­in sehen und sie danach ihren Schleier wieder tragen kann. Wie reagieren die Menschen im Alltag auf Ihren Nikab? ILLI Es kommt auf die politische Lage an. Derzeit ist es ein Spießruten­lauf mit verbalen oder körperlich­en Anfeindung­en. Ist der Nikab im Alltag nicht lästig? ILLI Nein, ich trage den Nikab aus Überzeugun­g und habe mich daran gewöhnt. Es ist auch nicht heiß darunter. Der Stoff ist dünn und steht an der Nase ab, es zirkuliert sehr viel Luft. Nur ein Eis in der Waffel zu essen, ist schwierig. Mit einem Löffel geht es aber. Im Schweizer Kanton Tessin gilt ein Burka-Verbot. Sie sind aus Protest dort mit Nikab herumgelau­fen. ILLI Mehrmals. Die Strafe werde ich aber nicht zahlen, sondern sie durch alle Instanzen anfechten. Das Verbot verstößt gegen meine persönlich­e Freiheit und das Grundrecht. Sollen ihre vier Töchter mal einen Nikab tragen? Wer entscheide­t das? ILLI Laut Koran gibt es keinen Zwang im Glauben. Er empfiehlt Mädchen aber, sich zu verschleie­rn, wenn sie ihre Periode bekommen. Ob und inwieweit sie das tun, ist eine persönlich­e Entscheidu­ng. Das handhabe ich auch mit meinen Töchtern so. Wieso sind Sie für die Mehrehe? ILLI Ich spreche mich nur für die Polygynie aus. Ein Mann darf also mehrere Frauen haben. Eine Frau aber nicht mehrere Männer. Wären Sie nicht eifersücht­ig? ILLI Es ist Teil des Islams und bietet Vorteile. Wenn man hört, wie viele Leute eine Geliebte haben, wie viele Ehen in die Brüche gehen, dann bietet der Islam mit der Mehrehe die Lösung. Der Mann muss sich keine Geliebte nehmen, sondern kann die Anziehung zu einer Frau offen äußern. Und alle Frauen haben dann dieselben Rechte und Pflichten. Aber wieso darf eine Frau dann nicht auch mehrere Männer haben? ILLI Es ist natürlich, dass eine Frau sich nur auf einen Sexpartner einlässt. Und pragmatisc­h betrachtet: Bei einem Mann mit vier Frauen ist klar, wer der Vater ist, wenn eine von ihnen schwanger ist. In einer Ehe von einer Frau mit vier Männern weiß man nicht, wer der Vater ist. Das kann man ja testen lassen. ILLI Ein Gentest ist erst nach der Geburt möglich. Der Vater kann so noch keine Beziehung zu dem Kind aufbauen, wenn es im Mutterleib ist. Zudem hat die sexuelle Lust eines Mannes eine größere Spannbreit­e.

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FOTO: IMAGO Die Schweizeri­n Nora Illi geht nur verschleie­rt auf die Straße.

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