Rheinische Post

Der Frieden in der Autostadt hat seinen Preis

VW und die zwei Zulieferer haben ihren Konflikt beigelegt, die Produktion kann wieder anlaufen. Dafür musste der Wolfsburge­r Autokonzer­n jedoch große Zugeständn­isse machen.

- VON FLORIAN RINKE

WOLFSBURG Irgendwann dämmerte es, und die Sonne ging auf – doch selbst da ging es in den vornehmen Räumen des Ritz Carlton noch immer um die letzten Details. 19 Stunden lang hatten Vertreter des Volkswagen-Konzerns in dem Hotel im Herzen der Autostadt mit den Kontrahent­en des Zulieferer­s Prevent verhandelt, um dem Lieferstop­p ein Ende zu setzen. Was um 13 Uhr am Montag begann, endete erst um acht Uhr am anderen Morgen, ist in Wolfsburg zu hören.

Immer wieder pendelten die Vertreter beider Seiten zwischen dem großen Konferenzr­aum und zwei kleineren Räumen, in die man sich zurückzog, um die Vorschläge der Gegenseite durchzurec­hnen oder Alternativ­en zu beratschla­gen.

Dann, endlich, die Lösung, die beide Seiten wortgleich verschickt­en. Man habe sich geeinigt, heißt es, die Zulieferer ES Automobilg­uss und Car Trim nähmen die Belieferun­g wieder auf, die Produktion in den VW-Werken könne wieder anlaufen, zu weiteren Details habe man Stillschwe­igen vereinbart.

Inzwischen ist klar, warum: Denn Volkswagen hat in dem Konflikt große Zugeständn­isse gemacht: Von den 58 Millionen Euro, die Prevent nach dem Platzen eines Kooperatio­nsprojekte­s gefordert hatte, wird nach Informatio­nen unserer Redaktion ein Teilbetrag in zweistelli­ger Millionenh­öhe bezahlt. Die Zulieferer-Tochter ES Automobil- guss bleibt weiterhin Lieferant der Getriebete­ile, VW darf sich allerdings in den kommenden sechs Jahren einen zweiten Partner suchen, der jedoch maximal 20 Prozent der Liefermeng­e übernehmen darf.

Laut „Süddeutsch­er Zeitung“verzichten beide Seiten außerdem auf Schadeners­atzansprüc­he – das heißt, dass VW die Produktion­sausfälle in seinen Werken nicht den Zulieferer­n in Rechnung stellen kann. Rund 100 Millionen Euro, schätzen Analysten, habe der Lieferstre­ik Volkswagen gekostet – diese Sum- me muss der Konzern nun wohl alleine schultern. Gleichzeit­ig soll ein erneuter Lieferboyk­ott des Zulieferer­s durch eine vertraglic­h geregelte Millionens­trafe verhindert werden.

Die Ergebnisse zeigen, dass Prevent die 19 Stunden im Ritz Carlton gut für sich genutzt hat. Es hätte sogar schneller gehen können, heißt es in Verhandlun­gskreisen, aber tief nachts ließen sich manche der nötigen Dokumente demnach gar nicht so leicht auftreiben.

Wenig später, gegen Mittag, rollten bereits die ersten Lastwagen von Volkswagen mit den dringend benötigten Getriebete­ilen vom Hof der ES Automobilg­uss GmbH im erzgebirgi­schen Schönheide. Der tage- lange Konflikt, bei dem VW die Produktion in sechs Werken drosseln oder einstellen musste, war vorbei.

Allerdings haben die Produktion­sausfälle bei VW weitreiche­nde Wirkung gehabt. „Die Folgewirku­ngen für die gesamte Wertschöpf­ungskette sind beträchtli­ch“, sagte Christoph Feldmann, Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes Materialwi­rtschaft, Einkauf und Logistik. Wegen des Produktion­sstillstan­ds bei VW konnten die Firmen ihre Teile nicht ausliefern und mussten Bestände aufbauen. Allein bei der Produktion des wichtigste­n VW-Modells Golf seien rund 500 Lieferante­n beteiligt.

Doch auch VW könnten die Folgen noch länger beschäftig­en: Nicht nur, dass durch den Boykott der Zulieferer ein Millionens­chaden entstanden ist, den der Autokonzer­n angesichts von Milliarden­strafen und drohenden Prozessen im Abgasskand­al überhaupt nicht gebrauchen kann – langfristi­g dürfte sich auch die Tektonik zwischen Zulieferer­n und Konzern verschiebe­n.

„Wenn es eine Lehre aus der Posse gibt, dann die, dass VW seinen Einkauf umstruktur­ieren muss“, sagt Ferdinand Dudenhöffe­r, Automobil-Experte von der Uni DuisburgEs­sen. Denn wenn man einen Fall fände, bei dem ein Weltmarktf­ührer mit mehr als 600.000 Beschäftig­ten sich von einer 500-Mann-Bude abhängig mache, sprächen alle Regeln der Statistik dafür, dass mehr solcher Fälle im Karton schlummern würden.

Newspapers in German

Newspapers from Germany