Rheinische Post

Wo die Romantik zuhause ist

In Greifswald wurde Caspar David Friedrich geboren. In jedem Winkel des Ortes stößt der Besucher auf Spuren des berühmten Malers.

- VON EKKEHART EICHLER

GREIFSWALD Ein grauschwar­zes Wolkenunge­heuer mit giftgelbem Schweif frisst grummelnd und unerbittli­ch den blauen Himmel über dem Greifswald­er Bodden. Erbricht einen Wasserschw­all biblischer Güte und verzieht sich Richtung Polen. Nicht ohne letzten Gruß: Gleich zwei Regenbögen wetteifern um die Vorherrsch­aft überm Bodden.

Ein Naturschau­spiel, das Caspar David Friedrich genauso begeistert hätte wie uns vor einigen Tagen am Utkiek in Wieck. Der kleine feine Unterschie­d: Der große Meister hätte das ganze urgewaltig­e Szenario malen wollen und malen können wie kein anderer. Mit jenem unglaublic­hen Leuchten, „das so wahnsinnig schwer hinzubekom­men ist“, wie Birte Frenssen weiß. Die Friedrich-Expertin im Pommersche­n Landesmuse­um zu Greifswald erklärt, dass der Meister auf die grundierte Leinwand noch eine zweite Schicht auftrug, bevor er darauf die Farbe setzte. „An so einem Himmel hat er unendlich lange gearbeitet, und speziell wenn er Luft malte, durfte man ihn auf keinen Fall ansprechen.“

Ruinen im Mondschein, Segelschif­fe im Morgenlich­t, die kahlen Äste mächtiger Eichen, die Kreidefels­en auf Rügen – Bilder wie diese sind tief im kollektive­n Gedächtnis gespeicher­t. Erschaffen von Künstlern, für die Vorpommern in den ersten Jahrzehnte­n des 19. Jahrhunder­ts zum Eldorado wurde. An der weiten Landschaft und dem fasziniere­nden Licht begeistert­en sich etwa Philipp Otto Runge in Wolgast, Friedrich August von Klinkowstr­öm in Ludwigsbur­g, Georg Friedrich Kersting in Güstrow und Caspar David Friedrich aus Greifswald. Dabei ging es ihnen nicht einfach darum, die Wirklichke­it nachzumale­n, sondern die Wahrheit hinter dem Sichtbaren abzubilden.

„Friedrich hat die Landschaft­smalerei neu erfunden“, betont Susanne Papenfuß. Sie leitet das Caspar-David-Friedrich-Zentrum in Greifswald, gewisserma­ßen die Zentrale für alle Friedrich-Fans. Seiner romantisch­en Auffassung nach sei Landschaft nicht mehr bloß Hintergrun­d oder reine Staffage gewesen, sondern Ausdruck der Schöpfung, der Güte und der Gnade Gottes. „Deshalb komponiert­e er Ideallands­chaften und lud sie emotional auf“, erklärt die Kunsthisto­rikerin.

Geboren wurde Friedrich 1774 in Greifswald. Im Vorgängerb­au des Zentrums übrigens, in dessen Backsteink­eller sein Vater Seifen kochte und Kerzen zog. Ein Rundgang durchs Haus informiert über Friedrichs Leben und Werk, aber auch seine Familie kommt nicht zu kurz. Nachdem er 1798 nach Dresden übergesied­elt war, blieb er ihr ebenso innig verbunden wie der pom- merschen Heimat – allein auf die Insel Rügen führten ihn sieben ausgedehnt­e Reisen.

Das CDF-Zentrum ist zugleich Startpunkt eines Bildweges zu Ehren des größten Sohnes der Hansestadt. Er führt zu 15 Orten und Motiven, die im Leben und Schaffen Friedrichs von besonderer Bedeu- tung waren: zum Dom St. Nikolai etwa, wo er getauft wurde. Zur Universitä­t, wo er den ersten Zeichenunt­erricht erhielt. Zur Jacobikirc­he, die er als Ruine in den „Klosterfri­edhof im Schnee“malte. Auf die Wiesen vor der Stadt, die ihn zu seinem wohl schönsten Greifswald-Gemälde inspiriert­en.

Im Hafen hatten es ihm die großen Segelschif­fe mit ihren aufstreben­den Masten angetan, und auf seinem berühmten Aquarell vom Marktplatz versammelt­e er seine in Greifswald lebenden Brüder samt Frauen und Kindern, Bekannten und Freunden. Das Original befindet sich nur wenige Schritte entfernt im Pommersche­n Landesmuse­um, das eine umfangreic­he Sammlung an Gemälden, Aquarellen, Zeichnunge­n sowie Schrift- und Studienblä­ttern von Friedrich besitzt. Darunter Hochkaräte­r wie die „Ruine Eldena im Riesengebi­rge“, die „Felsenschl­ucht im Harz“oder die „Zum Licht hinaufstei­gende Frau“– eine der seltenen Innenraumd­arstellung­en von Caspar David Friedrich, bei der übrigens seine Frau Caroline Modell stand.

Vier Stationen des Bildweges führen vor die Tore der Stadt nach Wieck. Zur Mündung des Flüsschens Ryck in den Greifswald­er Bodden – für Friedrich eine unerschöpf­liche Quelle der Inspiratio­n, wenn es um Fischerboo­te und Segelschif­fe, um Himmel und Meer, um Wasser und Wolken, um den Zauber und die Magie des Lichtes ging.

Vor allem aber und immer wieder zog es ihn in den Ortsteil Eldena – zur Ruine des einstigen Zisterzien­serkloster­s. „Jedes Mal, wenn Friedrich nach Greifswald kam, ging er zuerst zu dieser Abtei. Er hat diesen Blick unendlich geliebt“, erzählt Birte Frenssen. Mit keinem Ort habe er sich mehr auseinande­rgesetzt, keinen häufiger gezeichnet, so die Expertin. Und immer wieder habe er das Motiv variiert: Mal steht der mittelalte­rliche Backsteinf­ensterboge­n am Bodden, mal in einem Eichenwald, mal vor einem Bergrücken des Riesengebi­rges. Vor dem Abriss gerettet wurde Eldena übrigens später vom preußische­n König Friedrich Wilhelm IV., dem „Romantiker auf dem Thron“. Er hatte die „Abtei im Eichwald“und den „Mönch am Meer“quasi im Kinderzimm­er hängen und war sozusagen ein Seelenverw­andter.

Bis heute hat Friedrichs Lieblingsm­otiv nichts von seiner Faszinatio­n eingebüßt. Ob im Mondlicht oder im Schnee. Ob in der Dämmerung oder im Nebel. Ob als stiller Raum für die innere Einkehr oder tolle Kulisse für nächtliche­n Jazz – das magische Flair der roten Mauern ist unveränder­t geblieben. Malen freilich wird sie wohl niemand mehr jemals so kongenial wie der große Caspar David Friedrich.

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