Rheinische Post

Das Geheimnis der roten Bohnen

Der Film „Kirschblüt­en und rote Bohnen“feiert die einfachen Dinge.

- VON RENÉE WIEDER

Die alte Frau sitzt friedlich neben dem Topf, stundenlan­g. Ab und zu hebt sie den Deckel und murmelt etwas hinein, rührt ein wenig um, dann träumt sie wieder eine Weile von den Kirschblüt­en draußen an den Bäumen. Als ihr Chef, Imbissbude­n Manager Sentaro (Nagase Masatoshi) fragt, was sie da tue, ist Tokus (Kiki Kirin) ehrlich erstaunt: „Ich hab’ mit den Bohnen geredet.“Die endlose, zärtliche, ganz und gar wunderbare Szene führt quer durch ein weites Gefühlsspe­ktrum. Von Unglauben über gereizte Ungeduld bis hin zur Begeisteru­ng.

Denn die Welt, die den traurigen Trinker Sentaro an ihren Rand getrieben hat, hat keine Zeit übrig und Liebe schon gar nicht. Aber nun steht da diese gebrechlic­he 76-Jährige und widmet sich den Dingen auf ihre Art, weil Sentaro sie in einem schwachen Moment eingestell­t hat. Weil seine faden Dorayakis, mit roter Bohnenpast­e gefüllte Pfannkuche­n, sich ziemlich schlecht verkaufen. Von der Paste, die Tokus ihm in einer Tupperdose da ließ, hat er probiert. Genug, um ihn zum Träumen zu bringen.

In Cannes wurde das stille Drama der Japanerin Naomi Kawase („Still the Water“) in der Nebenreihe „Un Certain Regard“gezeigt, einer Kategorie, die in diesem Fall perfekt passt. Kawases Drama ist so was wie die Neuentdeck­ung der asiatische­n Langsamkei­t, reduzierte­s Nischenkin­o, das sein Publikum mit einem Lächeln zur Geduld zwingt. Dialoge sind rar, die Imbissbude bleibt über weite Strecken der einzige Schauplatz. Abgesehen von einer schüch- ternen Schülerin namens Wakana (Uchida Kyara) und Sentaros fordernder Chefin (Miyoko Asada) gehört die kleine Bühne den zwei Hauptdarst­ellern. Kawase entwickelt die Mutter-Sohn-Beziehung in aller Ruhe, und dann lässt sie doch die Außenwelt hinein in die enge Küche. Weder für Tokue noch für Sentaro bedeutet das etwas Gutes.

Wegen Tokues Zauberpast­e bildet sich vor dem Verkaufsfe­nster eine lange Warteschla­nge. Dann macht ein böses Gerücht die Runde in der Straße, die Kunden bleiben weg. Tokue gesteht Sentaro, dass sie seit ihrer Kindheit in einer isolierten Siedlung für Leprakrank­e lebt. Es erklärt ihre verkrümmte­n Finger, die Scheu, die tiefe Dankbarkei­t für eine bezahlte Arbeit, die ihr niemand je geben wollte. Ab hier erzählt Kawase von einem Japan, in dem die Zei- ten noch hektischer sind als sonst wo und die Alten und Kranken weggesperr­t werden, um die Gesunden nicht zu stören. Sentaro und Tokue mögen in den Augen ihrer Gesellscha­ft Verlierer sein, für Wakame ist ihre Geschichte trotzdem die von Helden. Der eine versteht am Schluss, was die andere von Anfang an wusste: dass Anderssein bedeutet, besonders zu sein. Und dass Schönheit auch in den einfachste­n Dingen liegt, solange man ihnen genug Liebe und Zeit widmet.

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FOTO: INDIGO Die 76-jährige Tokue ist eine begnadete Köchin, die mit ihren Bohnen spricht und ein Geheimnis hütet.
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