Rheinische Post

Tippspiele bedeuteten jahrelang Zettel-Chaos – bis ein Düsseldorf­er eine geniale Idee hatte.

Vom Fußball-Tippspiel mit Freunden zum erfolgreic­hen Internet-Start-up: Kicktipp.de nutzen heute Millionen Spieler.

- VON FLORIAN RINKE

Janning Vygen hat schon mit seinen Freunden getippt, als Werder Bremen noch eine große Nummer war und der MSV Duisburg erstklassi­g spielte. In dieser Zeit hat er alles ausprobier­t: strategisc­he Tipps oder wilde, gemäß der Wettquoten oder dagegen. Inzwischen tippt er oft aus dem Bauch. Auch das reicht für den Gesamtsieg. Manchmal. „Wer lange dabei ist, gewinnt auch mal“, sagt Vygen und lacht.

Genau wie Millionen andere tippt auch der 44-jährige Düsseldorf­er seine Spiele beim Online-Portal Kicktipp. Einziger Unterschie­d: Vygen hat die Seite erfunden.

Kicktipp ist eine der bekanntest­en Internetse­iten des Landes, allein bei der Europameis­terschaft tippten 3,5 Millionen Menschen in 300.000 Tipprunden die Spiele. Und nach dem deutschen Last-Minute-Tor durch Bastian Schweinste­iger gegen die Ukraine verzeichne­te Kicktipp rund 100.000 Seitenaufr­ufe – pro Sekunde. Wenn nun die Bundesliga

Nach Schweinste­igers Tor bei der EM verzeichne­te Kicktipp 100.000 Aufrufe – pro Sekunde

wieder beginnt, dürfte auch der Rekord von bislang rund 120.000 Tipprunden während einer Saison eingestell­t werden. Kicktipp ist Kult.

Dabei entstand die Seite eigentlich nur als Plattform eines kleinen Grüppchens Schulfreun­de. Denn getippt haben Vygen und seine Kumpels schon damals – auf Papier, ganz klassisch. Doch dann zerstreute sich der Duisburger Freundeskr­eis nach dem Abitur in alle Himmelsric­htungen, auch Vygen verließ das Ruhrgebiet Richtung Heidelberg, um wie sein Vater Jura zu studieren. Die jahrelang praktizier­te Zettelwirt­schaft wurde unpraktisc­h. Also setzte sich Vygen 1995 hin und programmie­rte eine Online-Version. „Das Tippspiel war eine super Möglichkei­t, um mit meinen Kumpels in Kontakt zu bleiben“, sagt er. Irgendwann kamen Anfragen anderer Nutzer, die ebenfalls genug hatten von Zetteln und Excel-Tabellen. Also änderte Vygen die Seite so, dass mehrere Tippspiele parallel laufen können. Das war der Durchbruch.

„Klar fängt man an zu träumen, wenn plötzlich 1000 Tipper auf der Plattform sind“, sagt Vygen. Irgendwann merkte er, dass er mit seiner Idee eine Marktlücke gefunden hatte und Geld verdienen konnte. Aus 1000 Tippern wurden erst 100.000 und dann eine Million.

2006 machte Vygen aus Kicktipp ein Unternehme­n. Sechs Jahre gab es die Internetse­ite da schon unter dieser Adresse. „Meine Eltern haben mich gerade am Anfang sehr unterstütz­t, ohne wirklich zu verstehen, was ich da eigentlich mache“, erinnert er sich schmunzeln­d: „Das hat mir sehr geholfen.“

Am Prinzip hat sich seit der Gründung kaum etwas geändert: Die Spieler tippen noch immer den Ausgang eines Spiels, für die richtige Tendenz oder das Ergebnis gibt es unterschie­dlich hohe Punkte. Gespielt wird noch immer in Gruppen, die Teilnahme ist für Privatpers­onen weiterhin kostenlos – und Janning Vygen sitzt noch immer am Computer und programmie­rt.

Aus dem Rechner in der Studentenb­ude ist heute allerdings ein schickes Büro unweit der Düsseldorf­er Schadow-Arkaden geworden. „Kicktipp GmbH“steht an der Tür. Fußball-Poster sucht man jedoch vergebens, nur ein paar Dauerkarte­n von Fortuna Düsseldorf auf dem Schreibtis­ch zeigen, dass hier ein Mann arbeitet, der nicht nur berufliche­s Interesse am Fußball hat.

Stattdesse­n dominieren Informatik-Bücher, die sauber aufgereiht im Bücherrega­l stehen. Vygen programmie­rt die Seite noch immer selbst. Denn obwohl Kicktipp inzwischen durch Werbung und speziell angepasste Tipp-Spiele für Unternehme­n mehr als eine Million Euro Umsatz pro Jahr macht, besteht das Unternehme­n noch immer aus ihm und seinem Mitarbeite­r Peter Buning. „Eigentlich bräuchten wir noch einen dritten oder vierten Mitarbeite­r“, sagt Vygen: „Aber einerseits sind wir ein eingespiel­tes Team, anderersei­ts ist es auch gar nicht so leicht, geeignete Informatik­er zu finden.“

Denn obwohl sich am Prinzip von Kicktipp nicht viel geändert hat, mangelt es den beiden nicht an Arbeit: Knapp 60 Prozent der Seitenaufr­ufe erfolgen heute per Smartphone – über die mobile Seitenansi­cht oder per App. „Heute haben alle Smartphone­s und wollen ihre persönlich­e Punktezahl direkt sehen, und das natürlich im Ver-

60 Prozent aller Nutzer tippen inzwischen über ihr Smartphone, Tendenz steigend

gleich zu allen Mitspieler­n“, sagt Vygen. Kurzum: Die Schwankung­en nehmen zu. Mal gibt es kaum Seitenaufr­ufe, und sobald ein Tor fällt, explodiere­n die Zahlen – damit müssen die Kicktipp-Server erstmal klarkommen.

Gleichzeit­ig erweitert die ZweiMann-Firma ihr Angebot: In Italien, Spanien oder Portugal gibt es die Seite inzwischen schon, neben Fußball können Sport-Fans auch Eishockey-, Football-, Baseball- oder Handball-Ergebnisse tippen.

Ein Verkauf des Unternehme­ns kam für Vygen nie infrage. „Ich wollte immer unabhängig sein und nicht ständig Quartalsza­hlen übermittel­n müssen“, sagt er. Und die Lust am eigenen Unternehme­n ist längst nicht vergangen: „Es ist einfach immer noch ein tolles Gefühl, wenn ich mit der Straßenbah­n zu Fortuna fahre und neben mir jemanden schnell noch die Spiele tippen sehe.“Geht es nach Vygen, soll Kicktipp genau so bleiben: ein kleiner Wettkampf zwischen Freunden im Alltag. „Bei uns steht die soziale Gemeinscha­ft im Vordergrun­d“, sagt Vygen: „Auch wenn man am Ende keine Chance mehr auf den Gesamtsieg hat, will man eben doch vor Kalle stehen.“

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FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Programmie­rer Peter Buning (l.) und Gründer und Geschäftsf­ührer Janning Vygen sind die Köpfe hinter Kicktipp. Das beliebte Fußball-Tippspiel wird in einem Büro in der Düsseldorf­er Innenstadt programmie­rt.

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