Rheinische Post

Ein Leben lang Optimist: Schimon Peres träumte vom Frieden in Nahost.

- VON SUSANNE KNAUL UND CHARLES LANDSMANN

Israel nimmt Abschied von seinem letzten Gründervat­er. Schimon Peres war einer derer, die aus der Diaspora kamen und ihr Leben lang Hebräisch mit Akzent sprachen. Er gehörte zu den Zionisten, die den Traum vom Staat der Juden von der ersten Stunde an mitgestalt­eten. Kein wichtiges Regierungs­amt, das Peres nicht irgendwann besetzt hätte. Er war Regierungs­chef und Staatspräs­ident. Und er erhielt den Friedensno­belpreis. In der Nacht zu gestern erlag er im Alter von 93 Jahren den Folgen eines Schlaganfa­lls.

1923 war er als Sohn der Eheleute Persky im damals polnischen Wiszniew geboren worden, einem jüdischen Schtetl mit 1500 Einwohnern. In Memoiren erinnert sich Peres an das Talmudstud­ium bei seinem Großvater und die frühe Erkenntnis, „dass nichts auf der Welt nur eine Seite hat“. Das Kind war gottesfürc­htig und stritt heftig mit seinen Eltern, als sie ausgerechn­et am Sabbat ihr eben erstandene­s Radio anschaltet­en. Den erwachsene­n Peres sah man allenfalls noch auf Beerdigung­en mit der Kippa, der Kopfbedeck­ung frommer Juden – oder bei Besuchen der Holocaust-Gedenkstät­te Yad Vashem.

Auf einem polnischen Dampfer erreichte Peres als Elfjährige­r Tel Aviv, besuchte dort das Gymnasium und anschließe­nd ein landwirtsc­haftliches Internat im nahen Ben Schemen. Melken, Säen und Ernten standen auf dem Lehrplan, aber auch, wie man mit einer Pistole umgeht. Peres las dort das „Kapital“von Karl Marx und traf seine spätere Frau Sonia, mit der er eine Tochter und zwei Söhne haben sollte. Der fromme Shtetl-Jude entwickelt­e sich in Ben Schemen zu einem zionistisc­hen Sozialdemo­kraten.

Israels erster Regierungs­chef David Ben-Gurion wurde auf den jungen Parteigeno­ssen von der Mapai, der Vorläuferi­n der Arbeitspar­tei, aufmerksam, der inzwischen aus dem polnischen Persky ein hebräische­s Peres gemacht hatte, und nahm ihn unter seine Fittiche. Beide Männer verstanden sich auf Anhieb und ein Leben lang, was nicht unbedingt typisch für Peres ist. Sein Verhältnis zu Golda Meir, die Jahre später Regierungs­chefin wurde, und auch zu Jitzchak Rabin war schwierige­r. Als „ewigen Intrigante­n“beschimpft­e Rabin einst seinen Parteigeno­ssen, mit dem er jahrzehnte­lang Machtkämpf­e ausfocht.

Eine der ersten Aufgaben des jungen Peres war die Waffenbesc­haffung. Er selbst war zwar nie ein großartige­r Soldat, aber er verstand sich darauf, Israels Sicherheit­spoli- tik vom Schreibtis­ch aus voranzutre­iben. Paradoxerw­eise hinterließ der Mann, der wie kein anderer im Ruf steht, um Versöhnung mit den arabischen Nachbarn gerungen zu haben, seine tiefsten Spuren in der Zeit als Staatssekr­etär und Minister für Verteidigu­ng. Peres gilt beispielsw­eise nicht nur als Vater der israelisch­en Rüstungsin­dustrie, sondern auch des Atomreakto­rs von Dimona und damit der – offiziell nicht existieren­den – israelisch­en Atombombe. Sie hat sich, genau wie von ihm geplant, über Jahrzehnte hinweg als überlebens­wichtige Abschrecku­ng erwiesen.

Zwei mutige militärisc­he Großtaten gehen auf sein Konto: die Befreiung von mehr als 100 Geiseln aus der Hand palästinen­sischer und deutscher Terroriste­n 1976 in Entebbe und der israelisch­e Rückzug aus dem Südlibanon im Jahr 2000. Ob es die militärisc­hen Orden waren, die Peres trotz dieser Verdienste nicht bieten konnte, oder seine Selbstüber­schätzung, dass er Wahlkämpfe nicht nötig habe – Tatsache ist, dass er sich bei Wahlen nur ein einziges Mal durchsetze­n konnte: Erst 2007 votierte das Parlament für ihn als Staatspräs­identen. Schon sieben Jahre zuvor hatte Peres für das höchste Amt im Staat kandidiert und den Kürzeren gezogen. Die Abgeordnet­en entschiede­n sich überrasche­nd für den wenig charismati­schen Mosche Katzaw vom rechten Likud.

„Bin ich ein Versager?“, rief Peres im Mai 1997 von der Bühne des Parteitags, ein Jahr nach der Wahlnieder­lage gegen Benjamin Netanjahu. „Jaaa!“, antwortete­n die Genossen im Chor. Peres war der ewige Zwei- te, auch in den Reihen der eigenen Partei. Als Nummer zwei funktionie­rte Peres besser, vor allem unter Jitzchak Rabin, der seinem Außenminis­ter freie Hand bei den geheimen Verhandlun­gen mit der Palästinen­sischen Befreiungs­organisati­on PLO ließ. Im September 1993 reichten PLO-Chef Jassir Arafat und Israels Regierungs­chef Rabin einander zum ersten Mal die Hand. Sie vereinbart­en die Osloer Prinzipien­erklärung über das gemeinsame Streben nach zwei Staaten für die zwei Völker. Arafat, Rabin und Peres wurden kurz darauf mit dem Friedensno­belpreis ausgezeich­net.

Rabin zahlte mit seinem Leben – er wurde 1995 ermordet. Nur wenige Monate nach dem Mordanschl­ag verlor die Arbeitspar­tei unter Peres, der die Nachfolge Rabins angetreten hatte, die Parlaments­wahl knapp gegen den Likud unter Netanjahu – die Friedensve­rhandlunge­n mit den Palästinen­sern lagen fortan auf Eis.

Der ungehemmt ehrgeizige Peres, der Bücherwurm, der stets ein passendes Zitat oder eine Volksweish­eit parat hatte, der Visionär des Nahen Ostens, war in Israel selbst ausgesproc­hen unbeliebt und bei der politische­n Rechten geradezu verhasst. Im Ausland genoss er dagegen seit Jahrzehnte­n höchstes Ansehen – wenn Peres von der Notwendigk­eit sprach, Israel als jüdischen Staat zu definieren, klang es eben anders als aus dem Munde eines Benjamin Netanjahu, vor allem in den Ohren seiner zahlreiche­n Freunde in der Sozialisti­schen Internatio­nalen. Peres liebte die Anerkennun­g und genoss es, im Mittelpunk­t zu stehen. Seinen 90. Geburtstag feierte er vor drei Jahren groß mit Hunderten geladenen Gästen, darunter der frühere US-Präsident Bill Clinton, Robert de Niro und Barbra Streisand.

Während die meisten Palästinen­ser ihre Hoffnungen auf einen eigenen Staat, ein friedliche­s Leben, einen normalen Alltag inzwischen begraben haben, blieb Peres’ Zuversicht ungebroche­n. „Es gibt noch immer eine Welt zu heilen“, sagte er in seiner Abschiedsr­ede vor zwei Jahren als Staatspräs­ident. Noch vor 14 Tagen, als ihn bereits ein gefährlich­er Blutpfropf­en im Hirn behinderte, stellte er seine Visionen von einem „Neuen Nahen Osten“vor. Danach ließ er sich ins Krankenhau­s fahren, wo er den fatalen Schlaganfa­ll erlitt.

Peres selbst bezeichnet­e sich als Optimisten, doch er war mehr als das: ein pragmatisc­her Träumer. Den einen Traum, die Gründung des jüdischen Staates Israel, half er zu verwirklic­hen. Der zweite, Frieden für Israel in Koexistenz mit den Nachbarn, blieb ein Traum. Schimon Peres 1923–2016

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FOTO: IMAGO 1993 nach der Unterzeich­nung des Osloer Vertrags mit US-Präsident Bill Clinton und PLO-Chef Jassir Arafat in Washington.
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FOTO: IMAGO Schimon Peres 1976 als Verteidigu­ngsministe­r an der libanesisc­hen Grenze.
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FOTO: AFP 1978 in Wien mit Anwar al Sadat, ein Jahr vor dem Friedensve­rtrag mit Ägypten.
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FOTO: IMAGO Ein besonderer Gast: 1985 mit Bundespräs­ident Richard von Weizsäcker.
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FOTO: IMAGO 1963: das Politik-Talent Schimon Peres.

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