Rheinische Post

Vater verteidigt umstritten­es Krebsmitte­l

Nachdem in Brüggen drei Menschen nach einer Infusion mit 3-Bromopyruv­at (3-BP) gestorben sind, ist die Substanz in Verruf geraten. Yvar Verhoeven gehörte zu den ersten Patienten weltweit, die 2009 mit 3-BP behandelt wurden.

- VON SABINE JANSSEN

BRÜGGEN/ WAGENINGEN Vor sechs Jahren, am 18. Januar 2010, ist Yvar Verhoeven im Alter von 18 Jahren gestorben – an Organversa­gen in Folge einer Lungenentz­ündung. Der junge Niederländ­er litt an Leberkrebs. Er hatte nicht viel Zeit zum Leben, aber ein gutes Jahr Lebenszeit hat er sich mit der Behandlung durch 3-Bromopyruv­at (3-BP) erkämpft, jenem Mittel, das durch die Todesfälle Ende Juli im alternativ­en Krebszentr­um Brüggen-Bracht in Verruf geraten ist. Gegen den Heilprakti­ker, der die Brombrenzt­raubensäur­e in einer Infusion verabreich­te, ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Krefeld wegen fahrlässig­er Tötung in drei Fällen.

Durch die tragischen Todesfälle von Bracht lässt sich Harrie Verhoeven, Yvars Vater, in einem Punkt nicht beirren: „3-BP ist ein Krebsmitte­l mit Potenzial. Man muss es richtig anwenden, und man braucht wissenscha­ftliche Studien.“Dafür schreibt der Biologe wissenscha­ftliche Artikel, macht Experiment­e und versucht Sponsoreng­elder für klinische Gutachten von 3-BP freizusetz­en. Es ist das Erbe seines Sohnes. Auf dem Sterbebett hat Harrie Verhoeven seinem Sohn versproche­n, dass er den Wirkstoff bekannt macht, der ihm Lebenszeit und Lebensqual­ität beschert hat.

Im Jahr 2008 ging Yvar zum Arzt, weil ihm oft übel wurde. Die Ärzte diagnostiz­ierten einstimmig Leber- krebs und gaben ihm noch drei Monate. „Er hatte eine größere Chance, im Lotto zu gewinnen, als eine solche Krankheit zu bekommen“, sagt sein Vater, der als Biologe an der Universitä­t Wageningen arbeitet.

Im Internet entdeckte Verhoeven die Forschunge­n von US-amerikanis­chen Biochemike­rn der JohnsHopki­ns-Universitä­t in Baltimore. Sie hatten 3-BP in Tierversuc­hen an Tumoren von Ratten und Mäusen getestet. Mit guten Ergebnisse­n.

Verhoeven machte sich auf die Suche nach einem Arzt, der seinem Sohn 3-BP verabreich­en würde. 500 Ärzte schrieb er an, einer sagte zu: Professor Thomas Vogl, Radiologe am Universitä­tsklinikum in Frankfurt am Main.

Am 26. Februar 2009 erfolgte die erste Behandlung in Frankfurt. Auch die Biochemike­rin Young Hee Ko aus Baltimore war dazu angereist. „Yvar ging es vorher schlecht. Wir hatten Zweifel, dass er die zwei Wochen vor der Behandlung überleben würde. Ihm war auch bewusst, dass er bei diesem Versuch sterben konnte“, sagt Verhoeven.

Mittels eines Mikrokathe­ters wurde das 3-BP direkt in den Lebertumor gebracht. Die Blutgefäße zur Leber wurden verschloss­en, so dass die Substanz nur lokal auf den Tumor wirken konnte. Kurz nach dieser ersten Behandlung geschah für seine Familie etwas Fantastisc­hes: Yvar, der kaum essen konnte und über eine Sonde ernährt wurde, hatte Hunger. „Wir waren dann in Frankfurt Pizza essen. Ein wunderbare­r Abend“, erzählt Verhoeven.

Die zweite 3-BP-Behandlung brachte Komplikati­onen: Yvar fiel ins Koma. Im Krankenhau­s stellte man einen hohen Ammoniakge­halt im Blut fest. Durch den Abbau des Tumors waren wohl Abfallstof­fe im Körper freigesetz­t worden. Yvar erhielt eine Infusion. „Kurze Zeit später schlug er die Augen auf und sagte ,Hi Mam!’ Den Augenblick vergesse ich nie“, erzählt der Vater. Von da an wurde bei jeder 3-BP-Gabe der Ammoniak-Gehalt im Blut kontrollie­rt.

Mitte 2009 hatte sich Yvars Zustand so sehr verbessert, dass er zu Hause auf den Hometraine­r ging. Er wollte fit sein, um im November zu einem Vortrag in die USA zu fahren über 3-BP. „Wir sind in die USA gefahren. Es stellte sich heraus, dass der Tumor von abgestorbe­nem Gewebe eingekapse­lt worden war.“

Problemati­sch blieb allerdings, dass Yvars Leber als Entgiftung­sorgan durch die Krankheit ge- schwächt war und die Abfallstof­fe der zerstörten Tumorzelle­n nicht abbauen konnte. Am 18. Januar 2010 erlag er nach einer Lungenentz­ündung einem Organversa­gen.

„3-BP hat in diesem humanen Heilversuc­h gute Resultate erbracht. Der grundlegen­de Unterschie­d liegt aber darin, dass wir das 3-BP lokal über einen Mikrokathe­ter in die Leber navigiert haben“, sagt Thomas Vogl, Radiologe des Universitä­tsklinikum­s Frankfurt.

Die Todesfälle in Bracht will Yvars Vater nicht kommentier­en. „Bei Yvar standen uns exzellente Wissenscha­ftler zur Verfügung.“Aufgefalle­n ist dem Biologen allerdings eine Parallele in den Nebenwirku­ngen bei seinem Sohn und den verstorben­en Patienten von Brüggen: „Als Yvar nach der zweiten 3-BPGabe ins Koma fiel, war der Ammoniak-Gehalt in seinem Blut sehr hoch. Ammoniak ist ein Giftstoff, der auf das Gehirn wirkt. Es ist eine Parallele, die mir sofort aufgefalle­n ist, aber ohne weitere wissenscha­ftliche Datenbasis ist das Spekulatio­n.“Die drei verstorben­en Krebspatie­nten aus Bracht hatten unter anderem über Kopfschmer­zen und Schwindel geklagt.

Ob die verstorben­en Patienten auch auf den Ammoniak-Gehalt untersucht werden, wollte der Krefelder Oberstaats­anwalt Axel Stahl nicht sagen. „3-BP ist eine sehr kurzlebige Substanz. Es wird schwierig, sie bei der Obduktion nachzuweis­en.“

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Yvar Verhoeven starb mit 18 Jahren an Leberkrebs.
FOTO: PRIVAT Yvar Verhoeven starb mit 18 Jahren an Leberkrebs.

Newspapers in German

Newspapers from Germany