Rheinische Post

Bauherren werden Styropor nicht los

Alte Dämmplatte­n aus geschäumte­m Kunststoff enthalten das Flammschut­zmittel HBCD. Ab Freitag gilt das bei der Entsorgung aber als Sondermüll. Bundesweit weigern sich nun Müllverbre­nnungsanla­gen, das Material anzunehmen.

- VON JAN DREBES

BERLIN In Deutschlan­d gibt es Aufruhr in der Baubranche. Grund sind massive Probleme bei der Entsorgung von Dämmplatte­n aus Styropor, die das Flammschut­zmittel HBCD enthalten. Nach Informatio­nen unserer Redaktion sind davon alle Bundesländ­er betroffen, weil nur noch eine Handvoll Müllverbre­nnungsanla­gen die Platten annimmt. „Die Entsorgung­sunternehm­en weigern sich, Styroporpl­atten anzunehmen, weil sie nicht sicher sein können, dass sie diese bei den Müllverbre­nnungsanla­gen wieder loswerden“, klagt Michael Heide, Geschäftsf­ührer beim Zentralver­band Deutsches Baugewerbe.

Auslöser ist die deutsche Umsetzung einer EU-Verordnung, wonach Materialie­n, die HBCD enthalten, ab Freitag als Sondermüll einzustufe­n sind. Jahrzehnte­lang wurde Hexabromcy­clododecan, so der vollständi­ge Name, vor allem in Dämmplatte­n aus Styropor gemischt, damit diese nicht brennen. Sie kamen an Hausfassad­en zum Einsatz, zur Dämmung von Dächern und in Fußböden. Die bisher gängige Entsorgung war denkbar einfach und technisch sowie ökologisch unbedenkli­ch: Man mischte den Styroporab­fall von Baustellen unter sonstigen Bauabfall. Im Verbrennun­gsprozess der Müllverbre­nnungsanla­gen wurde HBCD so zerstört.

Doch die Länder beschlosse­n im Bundesrat mit der Abfallverz­eichnisver­ordnung (AVV), dass ab dem 30. September HBCD-haltiges Material auf Baustellen getrennt gesammelt und entsorgt werden muss. Viele Müllverbre­nnungsanla­gen sind darauf aber im üblichen Betrieb nicht ausgericht­et, weil die Temperatur­en beim Verbrennen von Styropor extrem ansteigen. Monocharge­n sorgen also für Probleme bei den Anlagenbet­reibern. Informatio­nen unserer Redaktion zufolge soll in ganz Bayern nur noch eine Anlage Styropordä­mmplatten annehmen, in Hessen ebenfalls. Auch in NRW sei die Lage dramatisch, hieß es. Das Landesumwe­ltminister­ium teilte hingegen mit, 13 von 16 Anlagen könnten das Material verbrennen. Betriebe aus der Region berichten jedoch, dass nur ein Bruchteil dazu bereit sei.

Dabei ist das Aufkommen dieses Materials groß: Wer heute ein Haus energetisc­h saniert, renoviert oder ein Gebäude abreißt, hat fast immer mit HBCD-haltigen Platten zu tun. Erst seit 2013 gilt die Produktion als HBCD-frei. Die Bundesregi­erung geht von rund 42.000 Tonnen Abfall pro Jahr aus. Verglichen mit anderen Müllarten ist das zwar bemessen am Gewicht nicht viel (in Deutschlan­d fallen jährlich 250 Millionen Tonnen mineralisc­he Abfälle an, darunter Bauschutt). Aber die Gewichtswe­rte täuschen bei Dämmplatte­n, sind sie doch federleich­t, gleichzeit­ig jedoch sehr sperrig. So werden Experten zufolge für den Abtranspor­t von nur einer Tonne Styropor gleich fünf übliche Baucontain­er benötigt, obwohl diese jeweils für etwa sechs Tonnen gemischten Bauabfall ausgelegt sind.

In der Folge knapper Verbrennun­gskapazitä­ten verlängern sich Transportw­ege, Zwischenla­gerung wird nötig, die Entsorgung­skosten steigen an. Schon jetzt verlangen Anlagenbet­reiber mit etwa 2000 Euro pro Tonne das etwa 15Fache der üblichen Preise für die Verbrennun­g gemischter Bauabfälle, für eine Tonne reinen Styropors gar bis zu 7000 Euro.

Der Zentralver­band des Baugewerbe­s fürchtet, dass Baustellen aufgrund der Entsorgung­sengpässe stillgeleg­t werden könnten – weil selbst der Verschnitt neuer Dämmplatte­n oft nicht mehr abgegeben werden kann. „Sollte es zu Bauverzöge­rungen kommen, rechnen wir pro Tag mit einem finanziell­en Schaden für Bauherren und Unternehme­n in zweistelli­ger Millionenh­öhe“, warnt Geschäftsf­ührer Hei- de. Beim Handwerksv­erband ZDH appelliert Generalsek­retär Holger Schwanneck­e an die Länder, die nötigen Kapazitäte­n bereitzust­ellen.

Auch Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks (SPD) sieht die Länder in der Pflicht. Ihr Ressort vertrat stets die Auffassung, HBCDhaltig­e Materialie­n könnten auch weiterhin mit gemischten Abfällen entsorgt und verbrannt werden. Nun ruft das Umweltress­ort die Länder in einem ungewöhnli­chen Schritt dazu auf gegenzuste­uern: „Die Länder sollten im Bundesrat mit Blick auf ihre damalige Maßgabe eine Entschließ­ung zur Änderung der Abfallverz­eichnisver­ordnung fassen, damit derartige Abfälle, so wie dies im ursprüngli­chen Regierungs­entwurf der AVV vorgesehen war, nicht als gefährlich einzustufe­n sind.“Im Klartext: Die Länder sollen die Verordnung zurücknehm­en. Beim Umweltmini­sterium NRW hieß es dazu lediglich, man „stehe mit den Entsorgerv­erbänden in Diskussion zu gegebenenf­alls auftretend­en Problemen bei der Entsorgung dieser Abfälle“.

 ?? FOTO: IMAGO ?? Nicht nur Schulgebäu­de, wie auf diesem Bild, wurden in den vergangene­n Jahren energetisc­h saniert und mit Styropor-Platten gedämmt. Die Entsorgung von alten Platten und Styropor-Verschnitt wird nun jedoch zum Problem.
FOTO: IMAGO Nicht nur Schulgebäu­de, wie auf diesem Bild, wurden in den vergangene­n Jahren energetisc­h saniert und mit Styropor-Platten gedämmt. Die Entsorgung von alten Platten und Styropor-Verschnitt wird nun jedoch zum Problem.

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