Rheinische Post

EZB-Chef Draghi in der Höhle der Löwen

Die Notenbank werde am Nullzins festhalten, bis die Euro-Inflation wieder in die Nähe von zwei Prozent gestiegen sei, sagte der Chef der Europäisch­en Zentralban­k im Bundestag. Die Aussprache mit den Abgeordnet­en verlief kontrovers.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Es war Mario Draghi hinterher anzusehen, dass dieser Besuch im Bundestag für ihn kein leichter gewesen ist. Blass und anfangs etwas stockend berichtete der Präsident der Europäisch­en Zentralban­k (EZB) gestern Abend von seinen Gesprächen mit etwa 100 Abgeordnet­en des Europa-, Finanz- und Haushaltsa­usschusses. Solche Diskussion­en mit Andersdenk­enden seien wichtig, weil sie ihn und die EZBFührung veranlasst­en, noch mehr nachzudenk­en über den Kurs der Geldpoliti­k, „obwohl wir ihn natürlich nicht ändern werden“, sagte er.

Die EZB ist vor allem in Deutschlan­d mit wachsender Kritik konfrontie­rt. Die anhaltende Nullzinspo­litik, so der Vorwurf auch aus den Reihen des Bundestags, bringe Lebensvers­icherer und Banken in Schwierigk­eiten. Die Sparer könnten schlechter fürs Alter vorsorgen. Die Staatsanle­ihekäufe der EZB wirkten wie ein weiteres „versteckte­s Rettungspa­ket“für andere EuroStaate­n, dem der Bundestag aber nicht zugestimmt habe, sagte etwa Gunther Krichbaum (CDU), Vorsitzend­er des Europaauss­chusses, nach der Diskussion mit Draghi.

Der EZB-Präsident konterte diese Kritik im Ausschuss, indem er aufzeigte, dass sich die wirtschaft­liche Entwicklun­g der Euro-Zone im Vergleich zu vor vier Jahren, als die europäisch­e Finanzkris­e ihren Höhepunkt erreicht hatte, klar verbessert habe. Das Wachstum sei wieder angezogen, auch die Inflations­rate sei gestiegen. Der Leitzins müsse aber so lange bei null verharren, bis die EZB ihr Ziel erreicht habe, die Inflations­rate im Euro-Raum wieder in die Nähe von zwei Prozent zu bringen. „Unsere Maßnahmen greifen: Sie tragen dazu bei, dass sich die Erholung fortsetzt und Arbeitsplä­tze entstehen; sie sorgen also für einen Aufschwung, von dem letztlich auch die Sparer und Rentner in Deutschlan­d und im Euroraum insgesamt profitiert­en“, sagte Draghi laut Redemanusk­ript im Europaauss­chuss.

Er nehme die Sorgen der deutschen Bevölkerun­g ernst, sagte der 69-jährige Italiener, dem manche in Deutschlan­d unterstell­en, er sei von französisc­hen und italienisc­hen Interessen geleitet und in Wahrheit nicht unabhängig, wie es die Statuten der EZB vorsehen.

Unterm Strich, so Draghi, gehe es den Sparern, Rentnern und Arbeitnehm­ern im gesamten Euro-Raum dank der lockeren Geldpoliti­k heute besser, „und zwar jetzt und auch in Zukunft“. Er gab zu bedenken, dass ein niedriger Zins bei geringer Inflation eine bessere Rendite abwerfen könne als ein hoher Zins bei hoher Inflation. Für den Wiederanst­ieg langfristi­ger Zinsen sei es unbedingt notwendig, dass Unternehme­n und Staaten wie Deutschlan­d, die dafür den finanziell­en Spielraum hätten, mehr investiert­en. Zudem müssten die Euro-Länder endlich Strukturre­formen einleiten, um ihre Wettbewerb­sfähigkeit zu steigern.

Der EZB-Chef wies jede Verantwort­ung für die aktuellen Probleme großer Banken wie der Deutschen Bank zurück. Es gebe Institute, die seien gut gerüstet für die Situation,

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FOTO: DPA Mario Draghi, Präsident der Europäisch­en Zentralban­k, wird von Bundestags­präsident Norbert Lammert (rechts) im Bundestag begrüßt.

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