Rheinische Post

Hitlers Staatsfein­d Nr. 1

Der frühere Chefredakt­eur des „Spiegel“, Stefan Aust, hat die unglaublic­he Lebensgesc­hichte eines wichtigen und heute fast vergessene­n Journalist­en ausgegrabe­n: Konrad Heiden, der in den 1930er Jahren Hitler-Biographie­n schrieb.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

BERLIN Hinterher sind alle immer schlauer. Und so lässt sich im Nachgang der Geschichte oft mühelos nachzeichn­en, wie es zur Diktatur und Schreckens­herrschaft Adolf Hitlers kommen konnte. Einer, der die finsteren Zeichen der Zeit aber früher als fast alle erkannte, war Konrad Heiden – Sohn einer jüdischen Mutter, Journalist und hellwacher Beobachter. „Es ist fasziniere­nd, wie er aus der aktuellen Situation heraus etwas sehr treffend beschriebe­n hat, von dem er gar nicht wissen konnte, wie es ausgeht“, sagt Stefan Aust, einst Chefredakt­eur des „Spiegel“und der „Welt“. Aust hat seinen heute so gut wie vergessene­n „Kollegen Heiden“wiederentd­eckt und in fünfjährig­er Arbeit dessen Leben und Werk aufgeschri­eben.

Zunächst klingt vieles unglaublic­h, was Konrad Heiden so alles publiziert – vor allem aber: wie früh. Bereits im Dezember 1932 erscheint im Rowohlt-Verlag von ihm die „Geschichte des Nationalso­zialismus“; wenig später folgt die „Geburt des Dritten Reichs“und 1936 die erste Hitler-Biographie überhaupt. Und die wird ein Bestseller. Rund 80.000 Exemplare werden in Deutschlan­d verkauft; zudem wird sie in mehrere Sprachen übersetzt.

Zu diesem Zeitpunkt hat Heiden das Weite gesucht. Natürlich steht er auf der Liste der Gestapo weit oben. Über die Schweiz gelangt er schließlic­h in die USA. Er wird dort zu einem geschätzte­n Auskunftge­ber, und als er im November 1940 im Statler Hotel in Cleveland einen Vortrag hält, wird er angekündig­t als: „Anti-Nazi-Biographer of Hitler and known as Nazi Public Enemy No.1“.

Und das konnten die Menschen, wenn sie wollten, Mitte der 1930er Jahre in Heidens Büchern erfahren: „Hitler bedeutet in jeder Form den Untergang.“Während er die Bewegung des Nationalso­zialismus noch vor der sogenannte­n Machtergre­ifung beschreibt als „Marsch ohne Ziel, Taumel ohne Rausch, Glauben ohne Gott und selbst in seinem Blutdurst ohne Genuß“. Schließlic­h prophezeit er ein „Massaker, wie es die Welt noch nicht gesehen hat“.

Prophezeie­n ist ein großes Wort, aber keineswegs zu groß für Heiden, findet Stefan Aust. Denn ein Prophet könne nach seinen Worten durchaus jemand sein, „der nur klar denken kann; und der vielleicht nicht so genau weiß, was noch passieren wird, der aber die Situation so betrachtet, wie sie ist, und der daraus seine Schlüsse zieht.“Vermutlich war das die größte Begabung des Journalist­en Heiden, der für die angesehene „Frankfurte­r Zeitung“schrieb: Er konnte beobachten, war erst der Zeitzeuge und nicht gleich der Analytiker, dem ein Detail reicht, das große Ganze zu erklären. Er besucht die Versammlun­gen der Nazis, erlebt Hitler aus der Nähe und weiß mit aller gebotenen Distanz, bestimmte Fähigkeite­n Hitlers zu „würdigen“. „Es gibt wohl nichts Meisterhaf­teres in dieser als das folgende Stück aus einer Rede, die Hitler im Jahre 1922 gehalten hat“, schreibt er. Heiden trägt und stellt alles Gesehene und Gehörte zusammen, bis ein schlüssige­s Bild ent- steht. Informante­n gibt es aber auch. Otto Strasser, einst treuer Gefolgsman­n des Diktators, liefert ihm Zitate auch aus geheimen Gesprächsr­unden mit Hitler.

Mehr als die Hälfe seines 65-jährigen Lebens wird sich Konrad Heiden mit dem Nazi-Führer auseinande­rsetzen. Er sieht früh, dass er mit Hitler das Thema seines Lebens gefunden hat. Er befürchtet aber auch, dass nicht er, der Journalist, sich das Thema gesucht habe, sondern das Thema hat sich seinen Chronisten gesucht. Eine Art publizisti­sches Schicksal scheint ihn mit Hitler zu verbinden. Konrad Heiden vertieft sich als Zeitzeuge in die Welt des Nationalso­zialismus und gewinnt Einblicke in das Innenleben der braunen Bewegung. Er taucht ein in den Sumpf, ohne selbst unterzugeh­en.

Stefan Aust ist mehr durch Zufall auf den beachtensw­erten Berufskoll­egen gestoßen. Eine Erstausgab­e von Heidens Hitler-Biographie schenkt man ihm zum 60. Geburtstag. Dort liegt sie unbeachtet ein paar Jahre im Regal, bis Aust sie irgendwann doch in die Hand nimmt, zu lesen beginnt und mit dem Lesen nicht mehr aufhören kann. Was er dort erfährt, ist zwar nicht ganz neu. Denn alle späteren Hitler-Biographen – wie Fest und Haffner und Kershaw – haben sich an dieser ergiebigen Quelle gelabt. Es sind vielmehr die Zeitumstän­de, die die Lektüre zur Entdeckung macht.

Konrad Heiden selbst hat sich keine allzu große Illusionen über die Wirksamkei­t seiner Bücher gemacht. Und doch sah er in seinen Werken eine Art Kampf um Deutschlan­d. Als er nach dem Krieg die Trümmerlan­dschaft seiner früheren Heimat besuchte, musste er feststelle­n, dass er diesen Kampf verloren hat.

Seine für ihn heikelste Arbeit ereilte ihn aber nicht in Deutschlan­d, sondern in Amerika. Für eine kritische US-Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“sollte er das Vorwort schreiben. Konrad Heiden überlegte – und schrieb.

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FOTOS: DPA, UNIVERSITÄ­TSBIBLIOTH­EK MÜNCHEN; MONTAGE : RP, Adolf Hitler spricht am Feiertag der nationalen Arbeit; links unten sein „Chronist“, der Journalist Konrad Heiden.

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