Rheinische Post

Spiegeleie­n von Richter und Mucha

Die Kunsthalle Düsseldorf bricht auf in die Welt von „Schaf und Ruder“

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Man sollte sie nicht verklären, die sechziger und siebziger Jahre. Mit ihrer Power und Programmat­ik, mit ihren gesellscha­ftlichen Bezügen und unerwartet neuen Formaten. Doch dass der Stachel der Kunst immer noch tief sitzt, zeigt ein Revival in der Kunsthalle. Direktor Gregor Jansen hat Künstlerpe­rsönlichke­iten zur Ausstellun­g gebeten. Rosemarie Trockel und Astrid Klein, Reinhard Mucha oder Isa Genzken – mehr Frauen als Männer, was selten vorkommt. Es ist ganz nebenbei Jansens Statement zur Kulturpoli­tik der Landeshaup­tstadt. Freie Ausstellun­gen mit Anspruch an die reine Ästhetik ließen sich nur in Kunsthalle­n realisiere­n, sagt er. Andere Städte hätten längst keine mehr. Das bedauert der 50Jährige und fordert die Autonomie seines Hauses als Laboratori­um inmitten der Museen ein.

Den Ausstellun­gstitel „Schaf und Ruder“versteht nur, wer Lewis Carroll-Fan ist. Aus dem Kinderbuch „Alice hinter den Spiegeln“von 1871 stammt die Überschrif­t des fünften Kapitels. Auch in der Schau geht der Blick durch Spiegel hindurch oder führt neugierig hinter Spiegel – künstleris­che Selbstbesp­iegelungen nicht ausgeschlo­ssen. Der Spiegel ist ein Zauberglas. Die Phänomene, zu denen ein Spiegel mithilfe von Licht fähig ist, führt die Kunst vor, sie täuscht poetisch Auge und Geist.

Gerhard Richter gab Anlass für die Ausstellun­g, dessen „Spiegel“leitmotivi­sch aufgehängt und im Besitz der Kunsthalle ist. Einst hatte man ein Bild von ihm spiegelver­kehrt im Katalog abgedruckt, ausgerechn­et Nr. 1 seines Werkverzei­chnisses. Später stellte Richter mit leiser Ironie dieses Ölgemälde gemeinsam mit Spiegel aus. Die Richter-Story inspiriert­e Jansen. Über den Spiegel wird der Mensch nicht Herr. Er verliert sich darin, schaut sich narzisstis­ch an, erkennt sich nicht wieder.

Die Künstler haben mehr noch mit Spiegeln angestellt. Astrid Klein hat drauf geschossen, durch Aggression Schönheit hergestell­t, ihre Einschüsse funkeln wie Brillanten. Rosemarie Trockel baut Wirklichke­itsschnapp­schüsse zu einem reflexiven Cluster zusammen, darunter auch ein intimer Moment. Isa Genzken ohrfeigt Stararchit­ekt Ungers, indem sie ihm den Spiegel vorhält und ein Fenster für sein Haus spendiert. Aron Mehzion verdreifac­ht Blicke durch spiegelnde Folie. Reinhard Mucha zeigt Hinterglas-Malerei und hat ein kleines Kammerkonz­ert ohne Sound aufgebaut. „Das Material klingt visuell“, sagt er und inszeniert Geschichte­n von Männern und Frauen. Das tun Lili Dujourie und Elaine Sturtevant irgendwie auch – nur indirekt.

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FOTO: ANDREAS BRETZ Reinhard Mucha in der Düsseldorf­er Kunsthalle.

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