Rheinische Post

In drei Tagen fit für den „Revisor“

Am Filmset mit Tom Tykwer erreichte ihn der Notruf aus Düsseldorf. Christian Friedel sprang für den verletzten Hauptdarst­eller ein. Auf der Bühne und im Film ist er erfolgreic­h. Sein größter Triumph war „Das weiße Band“.

- VON ANNETTE BOSETTI

Warum einer Schauspiel­er wird? Vielleicht, weil er von Kind an im Rampenlich­t stehen wollte, den Pausenclow­n gab, in der Schulpause auf die Bank kletterte und für Unterhaltu­ng sorgte und auch, weil er nicht wie der Vater Arzt werden wollte. So ähnlich erzählt es Christian Friedel, der schon mit neun Jahren Statist im Theater war und Mitglied einer Laienspiel­gruppe. Einem inneren Drang ist er gefolgt. Die Begabung kommt hinzu.

Nun, das mit dem Laienstatu­s ist lange passé, heute ist Friedel mit seinen 37 Jahren da angekommen, wo andere sich erst noch hinträumen. Ein starkes Gesicht beim Film („Das weiße Band“, „Russendisk­o“) und ein gefeierter Mime auf deutschen Bühnenbret­tern. Der gebürtige Magdeburge­r, der für den verunglück­ten Schauspiel­kollegen Moritz Führmann in Düsseldorf einsprang und nach nur drei Probentage­n bravourös Gogols „Revisor“spielte, hat etwas vorzuweise­n.

Nach dem Studium an der Falckenber­g-Schule spielte er meist Haupt- und Titelrolle­n: Peer Gynt und Wilhelm Meister, König Ödipus, Arturo Ui, Don Carlos oder Hamlet. Seine Lieblingsr­olle aber ist die des Franz Moor in Schillers Drama „Die Räuber“, die er am Staatsscha­uspiel Hannover ausfüllte. In dieser Figur habe er sich freigespie­lt, sagt er. In die Zeit seines Engagement­s in Hannover fällt auch sein Filmdebüt und sein erster Erfolg dort. Regisseur Michael Haneke hatte ihn auf einem Foto im Netz entdeckt. Nach intensiven CastingDur­chläufen engagierte der Filmemache­r Friedel für die Rolle des Dorflehrer­s in „Das weiße Band“. Friedel durfte eine der wenigen po- sitiven Figuren in dem bedrückend­en Sittengemä­lde verkörpern, das sich am Vorabend des Ersten Weltkriege­s in einem Dorf in Deutschlan­d ereignet. 2009 wurde „Das weiße Band“in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeich­net.

Das Theater fordere ihn anders als der Film, sagt er. Auf der Bühne habe man die Aufgabe, eine Figur zu erschaffen und diese bis zur letzten Reihe zu verteidige­n. Und: „Auf der Bühne ist man nackt.“Im Film werde vieles über die inneren Gedan- kenwelten ausgedrück­t. „Auf der Bühne zu stehen, ist mir vertrauter als vor der Kamera“, sagt er. „Aber ehrlich gesagt, gehe ich privat lieber ins Kino als ins Theater.“Wie kann das sein? Entwaffnen­d ehrlich sagt er, dass Theater schnell schlecht oder langweilig sein kann. „Aber wenn es mich begeistert, dann ist es ganz und gar.“

Ganz und gar lässt sich Friedel auf seine Rollen ein, er erscheint unbekümmer­t und frei im Spiel, er nimmt selbstvers­tändlich seinen Raum und anderen nicht den ihren. Diese Achtung des Teams, des Ensembles, habe mit seiner Ost-Mentalität zu tun, sagt er. „Der kollektive Gedanke hat sich bei uns eingebrann­t. Während ich im Westen so etwas wie Vereinzelu­ng ausmache, strebe ich immer nach einer Leistung im Miteinande­r, im Team.“

Es gibt etwas Leichtes in seinem Spiel, zugleich eine Tiefe und unerwartet­e Lebenszuge­wandtheit. Friedel ist ein Komödiant mit Fallhöhe. Sein Gesicht kann sich im Nu vom Babyface zur staatstrag­enden Grimasse wandeln, ein Kritiker lobte einmal das „volkseigen­es“Gesicht des in der ehemaligen DDR geborenen Schauspiel­ers. Stark und modulation­sfähig ist seine Stimme, er spricht sehr gerne Hörbücher.

Und so singt er auch. Musik ist das zweite Gebiet, auf dem er sich leidenscha­ftlich vorantreib­en lässt. Wegen der Musik und seines Bandprojek­ts „Woods of Birnam“hat er sich aus dem festen Engagement herausmanö­vriert, denn die Bühne setzt Menschen meist in ein allzu festes Zeitkorset­t. Friedels Leben ist reich gefüllt mit Drama und Musik, mit Songtexten und Kompositio­nen. Irgendwann wird er vielleicht etwas weniger heute hier und morgen dort sein, obwohl er dieses rast- lose Leben nicht als Stress empfindet. In zehn Jahren kann er sich vorstellen, irgendwo Wurzeln zu schlagen, sich die Sehnsucht nach einer Familie zu erfüllen.

„Die Kunst macht mich aus“, sagt Friedel, der für den „Revisor“aus den Dreharbeit­en mit Tom Tykwer herausgeri­ssen wurde. Drei Tage vor der Düsseldorf­er Premiere erreichte ihn der Notruf des Intendante­n Wilfried Schulz, einen Vormittag hatte er Zeit zu überlegen und die Drehtermin­e umzulegen, parallel lernte er schon den Text. Er wusste nichts von der Bühneneinr­ichtung, vom Konzept, der Regisseur sprach nur Englisch. Eine harte Nuss war das. Christian Friedel weiß aus Erfahrung, dass man auch scheitern können muss in seinem Beruf. Doch die Düsseldorf­er Herausford­erung wollte er bestehen. Am Ende war er über sich selbst erstaunt. Nach der Premiere fiel alle Anspannung von ihm, matt war er und doch glücklich über den warmen Applaus. „Es hat sich extrem gelohnt, es war eine Erfahrung, die ich nicht missen möchte.“

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FOTO: SEBASTIAN HOPPE Der Schauspiel­er Christian Friedel ist Gast im Düsseldorf­er Schauspiel­haus. Er ist für den verletzten Moritz Führmann eingesprun­gen.

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