Rheinische Post

Die Banken wanken

- VON GEORG WINTERS Deutsche-Bank-Chef, 2008

DÜSSELDORF Ohne ein funktionie­rendes Bankensyst­em gäbe es keine Geldversor­gung, keine Kredite, keine Investitio­nen von Unternehme­n, kein Wachstum der Wirtschaft. Die Geldbranch­e ist die wichtigste im ökonomisch­en Gefüge, der Schmiersto­ff für den Wirtschaft­smotor. Wer das nicht wusste, hat es spätestens mit dem Ausbruch der internatio­nalen Finanzkris­e vor fast einem Jahrzehnt begriffen. Aus der damaligen Banken-Katastroph­e entstand eine veritable Wirtschaft­skrise. Die Vokabel „Systemrele­vanz“machte die Runde, die englische Bezeichnun­g „too big to fail“wurde zum elementare­n Bestandtei­l des KrisenWört­erbuches. Gemeint ist: Wenn eine Bank so groß und wichtig ist, dass ihr Kollaps das globale Finanzsyst­em und die Weltwirtsc­haft bedrohen könnte, kann es sich niemand leisten, diese Bank fallenzula­ssen. Also muss der Steuerzahl­er ran, damit extreme weltweite Verwerfung­en vermieden werden.

Das ist eine Erkenntnis aus dem Fall Lehman, der 2008 Schockwell­en auslöste und ein Geldhaus nach dem anderen in Not brachte, weil alle sich gegenseiti­g nicht mehr vertrauten und keine Kredite mehr geben wollten. Der damalige US-Finanzmini­ster Henry Paulson sah nach der Rettung dreier anderer amerikanis­cher Banken keine Notwendigk­eit, auch noch eine vierte vor dem Untergang zu bewahren – ein fataler Fehler, wie sich herausstel­lte. Finanzpoli­tisch der größte der Bush-Regierung.

Acht Jahre danach diskutiert die Öffentlich­keit darüber, ob die Deutsche Bank ein Fall für Staatshilf­e sein könnte. Eigentlich sollte diese Frage generell nicht mehr gestellt werden, weil Europa seit Anfang 2015 einen eigenen Abwicklung­smechanism­us hat, mit dem in Not geratene Banken gestützt werden und Steuerzahl­er geschont werden sollen. Aber erstens ist allen klar, dass die 55 Milliarden Euro, die Europas Banken bis 2018 in einen Rettungsfo­nds einzahlen müssen, bei Weitem nicht ausreichen, eine Großpleite komplett abzufedern. Und: Abseits aller Verlautbar­ungen weiß kein Außenstehe­nder, wie gut – oder vielmehr wie schlecht – es der Deutschen Bank wirklich geht. Die Unsicherhe­it ist es, die an den Investoren nagt. Das Vertrauen schwindet, weil sich immer neue Baustellen für Deutschlan­ds einstige Paradebank aufzutun scheinen und weil der Bank die Ertragsper­spektiven fehlen. Wo sollen die Gewinne auch herkommen, wenn Zinsen dauerhaft niedrig sind, Provisione­n schmelzen und Kosten für aufsichtsr­echtliche Anforderun­gen explodiere­n?

Und deswegen wird diskutiert – ausgelöst durch eine drohende Milliarden­zahlung in den USA. Die Debatte ist natürlich zunächst rein theoretisc­h, weil Deutschlan­ds einstige Superbank von einst noch genug Kapitalres­erven hat, um ihre fast 8000 Rechtsstre­itigkeiten zu finanziere­n, weil sie ihre Aktionäre darum bitten könnte nachzulege­n, weil sie neue Anteilseig­ner einwerben könnte, weil sie zunächst Geschäftsb­ereiche verkaufen könnte, weil vor der Inanspruch­nahme des Steuerzahl­ers ohnehin erst mal Aktionäre, Gläubiger und Kunden zur Kasse gebeten würden. Aber was wäre, wenn das alles nicht reichen würde?

Dass die Banken wanken, ist unübersehb­ar. Der Commerzban­k geht es kaum anders. Wer fast 10.000 Stellen streicht, die über Jahre hinweg ausgefalle­ne Dividende nach einer einzigen Zahlung schon wieder einstellt und das Geschäftsm­odell radikal wandelt, tut das aus der Not heraus. Einen Unterschie­d macht das zunächst für den Betrachter nicht. Krise ist Krise, könnte man in extremer Vereinfach­ung der Sachverhal­te bei der Deutschen Bank und der Commerzban­k sagen. Aber im Extremfall ist da ein gravierend­er Unterschie­d. Die Commerzban­k, die der Bund inmitten der Krise 2009 mit insge- Josef Ackermann

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