Rheinische Post

Morddrohun­gen – Lehrerin nimmt Auszeit

Die Dinslakene­r Religionsp­ädagogin Lamya Kaddor hat sich vom Schuldiens­t beurlauben lassen, weil sie sich nicht mehr sicher fühlt. Die Islamwisse­nschaftler­in erhielt Hassbriefe, nachdem sie ein Buch über Einwanderu­ng geschriebe­n hat.

- VON JÖRG WERNER

DINSLAKEN Dass sie angefeinde­t wird, ist sie gewohnt, dass sie hasserfüll­te Mails bekommt, auch. Doch nachdem sie vor zwei Wochen ihr neues Buch „Die Zerreißpro­be. Wie die Angst vor dem Fremden unsere Demokratie bedroht“veröffentl­icht hat, haben die Angriffe auf Lamya Kaddor eine neue Qualität erreicht. Die 38-Jährige, die an der FriedrichA­lthoff-Sekundarsc­hule in Dinslaken Islamische Religion unterricht­et, erhält Morddrohun­gen und muss so um ihre Sicherheit fürchten, dass sie sich am Mittwoch vom Schuldiens­t beurlauben ließ, zunächst bis Sommer 2017. „Nachdem dieser Hass, die Verunglimp­fungen und die Morddrohun­gen nach Erscheinen meines neuen Buches derart zugenommen haben, musste ich Konsequenz­en ziehen“, begründet Kaddor ihren Schritt in einem Eintrag auf ihrer Facebook-Seite.

Lamya Kaddor, 1978 im westfälisc­hen Ahlen als Tochter syrischer Einwandere­r geboren, gilt als eines der liberalen Gesichter des Islam in Deutschlan­d, ist unter anderem Mitbegründ­erin des Liberal-Islamische­n Bundes und aus zahllosen Auftritten in Talkshows bekannt.

Im vergangene­n Jahr hat sie schon einmal mit einer Buchveröff­entlichung Angriffe gegen sich ausgelöst. In „Zum Töten bereit“hat sie, die als Lehrerin erleben musste, dass sich einige ihrer Dinslakene­r Schüler der Terrormili­z „Islamische­r Staat“anschlosse­n, sich mit der Frage beschäftig­t, was deutsche Jugendlich­e dazu bringt, in den Dschihad zu ziehen. Während die Anfeindung­en gegen Kaddor damals insbesonde­re aus islamistis­chen Kreisen kamen, stammen sie diesmal offenbar aus dem rechten Lager. In ihrem neuen Buch beschäftig­t sie sich mit der deutschen Mehrheitsg­esellschaf­t und sieht auch bei ihr eine Bringschul­d beim Thema Integratio­n. Kaddor warnt vor „Deutschoma­nie“, die zu einem Alltagsras­sismus führe, der durch alle Gesellscha­ftsschicht­en gehe und eine Gefahr für die Demokratie in diesem Land sei. Das müsse die Rechten derart getroffen haben, dass sie nur noch zu unsachlich­er, verleumder­ischer Kritik griffen, sagte Kaddor in einem Gespräch mit der Online-Ausgabe der „Welt“nach ihrer Beurlaubun­g vom Schuldiens­t.

Die Debatte um ihr neues Buch erlebt sie als „völlig enthemmt“, wie sie gestern in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk erklärte. Of- fenbar glaubten bestimmte Menschen, dass sie alles schreiben dürften, „dass ich vergast werden soll und dass man mich demnächst irgendwo nachts abholen wird“. Dafür macht Kaddor auch Intellektu­elle – namentlich nennt sie den Journalist­en Henryk M. Broder – verantwort­lich, die dafür sorgten, dass die Stimmung, auch gegen ihre Person, weiter aufgeheizt werde. Die Autorin übt aber auch Kritik an den Sicherheit­sbehörden. Als sie von Isla- misten bedroht worden sei, habe die Polizei das ernster genommen als die Angriffe jetzt. Ihre subjektive Wahrnehmun­g sei, dass die Drohungen aus rechten Kreisen mit dem Hinweis auf die Meinungsfr­eiheit herunterge­spielt würden.

Trotz aller Drohungen will Lamya Kaddor sich nicht mundtot machen lassen. „Nein, ich werde mich nicht aus der Diskussion zurückzieh­en und auch nicht die Klappe halten. Aber es ist an der Zeit, gegen diese Stimmung im Land den Mund aufzumache­n! Und auch die geistigen Brandstift­er unter unseren ,Intellektu­ellen’ in die Verantwort­ung für solche Entwicklun­gen zu nehmen“, schreibt die Lehrerin auf ihrer Facebook-Seite.

 ?? FOTO: GERD WALLHORN / WAZ FOTOPOOL ?? Lamya Kaddor wird in nächster Zeit erst einmal keine Jugendlich­en mehr unterricht­en.
FOTO: GERD WALLHORN / WAZ FOTOPOOL Lamya Kaddor wird in nächster Zeit erst einmal keine Jugendlich­en mehr unterricht­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany