Rheinische Post

Zum Abschied nordet Steinbrück die SPD ein

Ex-Ministerpr­äsident Peer Steinbrück hat seine Karriere als aktiver Politiker beendet. Er appelliert­e an die SPD, mutig zu sein, und sprach von „Sumpfhühne­rn und Schlauberg­ern“.

- VON JAN DREBES UND DETLEV HÜWEL

BERLIN/DÜSSELDORF Seit 47 Jahren ist Peer Steinbrück SPD-Mitglied, in den Bundestag zog er jedoch erst 2009 ein. Nun hat sich der frühere NRW-Ministerpr­äsident, Bundesfina­nzminister und gescheiter­te Kanzlerkan­didat von dort verabschie­det und seine Karriere als aktiver Politiker beendet. Zehn Minuten Redezeit hatte er gestern Morgen im Bundestag zur auswärtige­n Kulturpoli­tik, knapp fünf Minuten nahm er sich davon für seine Abschiedsr­ede – und die gestaltete Steinbrück noch einmal in dem für ihn so typischen Stil aus Klartext, Kritik und bissiger Ironie.

„Wir dürfen von den Bürgern gemeinsam nicht als ein Politikkar­tell missversta­nden werden, das ihre Befindlich­keiten wegfiltert. Und dieses Risiko besteht“, mahnte der 69-Jährige und redete damit auch seinem zwölf Jahre jüngeren Parteichef Sigmar Gabriel ins Gewissen – der saß zu der Zeit im Haushaltsa­usschuss. Angesichts einer spürbaren Desorienti­erung und Verunsiche­rung in „nicht zu vernachläs­sigenden Teilen unserer Gesellscha­ft“müssten die Parteien und das Parlament die Bühne liefern, auf der die zentralen Zukunftsfr­agen debattiert werden – „und zwar kontrovers, spannend, laut, leidenscha­ftlich, repolitisi­ert“, fuhr Steinbrück fort. Aber selbst in seiner letzten Bundestags­rede scheute er nicht davor zurück, Kritik an seiner eigenen Partei zu üben, nämlich in der Rentenpoli- tik. „Es sagt sich leicht, das Rentennive­au muss gesteigert werden“, sagte er. „Aber ich müsste der Generation meiner Kinder und jetzt meiner vier Enkelkinde­r erzählen, wer das denn eines Tages wie mit Steuern oder Versicheru­ngsbeiträg­en bezahlen soll“, schimpfte Steinbrück in Richtung des linken SPDFlügels, der das Rentennive­au wieder bei 50 Prozent verankern will.

So war es mit ihm und der Partei oft: Steinbrück nahm kein Blatt vor den Mund, schonte die Genossen in Auseinande­rsetzungen zum politi- schen Kurs nicht. Besonders 2013, als sturzgebor­ener Kanzlerkan­didat seiner Partei, brachte ihn das immer wieder in Schwierigk­eiten. Seine Glaubwürdi­gkeit im Wahlkampf litt, als er sich zu hohen Nebenverdi­ensten äußern musste, der ausgestrec­kte Mittelfing­er im Magazin der „Süddeutsch­en Zeitung“half ebenso wenig. Am Ende scheiterte er krachend gegen Angela Merkel.

Dabei hatte die Karriere des gebürtigen Hamburgers in NRW einst so richtig an Fahrt aufgenomme­n. Als Nachfolger von Wolfgang Cle- ment, den Kanzler Schröder als Superminis­ter nach Berlin geholt hatte, wurde Steinbrück 2002 Ministerpr­äsident. Aber wie Clement machte auch Steinbrück keinen Hehl aus seinem Unmut über das rot-grüne Bündnis. Wiederholt bezeichnet­e er die Grünen als „Bremser“der Landespoli­tik und machte sie verantwort­lich dafür, dass sich „Mehltau“über das Land lege. SPD und Grüne rauften sich zwar noch einmal zusammen, lange ging es jedoch nicht gut. Bei der Landtagswa­hl 2005 endete nach 39 Jahren die SPD-Vor- herrschaft in NRW, Steinbrück wurde abgewählt, kam jedoch als Finanzmini­ster im Bund unter – und trug auf dem Höhepunkt der Finanzkris­e zur Stabilität im Land bei.

Seinen Humor trug er dabei stets auf der Zunge, so auch gestern im Bundestag, als er zum Abschied Seitenhieb­e auf seine Kollegen verteilte: Als er vor 47 Jahren in die SPD eintrat, habe er gedacht, die „Verteilung von Sumpfhühne­rn und Schlauberg­ern“sei einseitig auf die Parteien erfolgt und die SPD sei die Partei der Schlauberg­er. „Inzwi- schen weiß ich, dass die Verteilung solcher Sumpfhühne­r und Schlauberg­er in und zwischen den Parteien der Normalvert­eilung der Bevölkerun­g folgt“, stichelte Steinbrück und endete mit: „Das war der letzte Ton aus meinem Jagdhorn.“

Und tatsächlic­h hielt er sich bei einer Buchbespre­chung im WillyBrand­t-Haus nur eine Stunde später zurück. Dort stellte Altkanzler Gerhard Schröder ein Buch über die „späten Jahre“seines verstorben­en Amtsvorgän­gers Helmut Schmidt vor. Schröder, wegen seiner AgendaPoli­tik in der SPD ebenso umstritten wie Steinbrück, zeigte sich von Schmidt tief beeindruck­t. Der frühere Kanzler sei einer der Gründe gewesen, warum er einst in die SPD eintrat, sagte Schröder. Äußerungen zum künftigen Kanzlerkan­didaten lehnte er jedoch kategorisc­h ab –anders als zuvor NRW-Fraktionsc­hef Norbert Römer. In einem Blog-Beitrag sprach sich der Genosse, wohl nicht ohne Absprache mit Landeschef­in Hannelore Kraft, für Gabriel als Kanzlerkan­didaten aus. Für den Parteichef ist das ein wichtiges Signal aus dem mächtigste­n SPD-Landesverb­and.

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FOTO: DPA Der frühere Bundesfina­nzminister und NRW-Ministerpr­äsident Peer Steinbrück (69) hielt gestern seine letzte Rede im Bundestag.

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