Rheinische Post

Konsumente­n retten den Aufschwung

Konjunktur­forscher sagen der deutschen Wirtschaft das kräftigste Wachstum seit fünf Jahren voraus. Der großen Koalition stellen sie aber ein schlechtes Zeugnis aus: Sie setze auf Umverteilu­ng und vernachläs­sige die Zukunft.

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BERLIN (dpa/rtr) Die führenden Forschungs­institute sagen der deutschen Wirtschaft für 2016 das kräftigste Wachstum seit fünf Jahren voraus. Der Aufschwung soll sich leicht verlangsam­t bis mindestens 2018 fortsetzen, heißt es in dem gestern veröffentl­ichten Herbstguta­chten für die Bundesregi­erung. Zugleich fordern sie von der Bundesregi­erung einen Kurswechse­l in der Wirtschaft­spolitik. Das Gutachten dient der Regierung als Basis für ihre eigenen Prognosen im Oktober.

Die Institute erhöhten ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinla­ndsprodukt­es in diesem Jahr von 1,6 auf 1,9 Prozent. Für 2017 wurde sie dagegen von 1,5 auf 1,4 Prozent gesenkt. 2018 sollen es 1,6 Prozent sein. „Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einem moderaten Aufschwung“, sagte Ferdinand Fichtner vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW). Und das, obwohl die Nachfrage aus dem Ausland und die Investitio­nsnachfrag­e der Unterneh- men nicht vorankomme­n. Wachstumsg­arant sind die Konsumente­n in Deutschlan­d. „Der Arbeitsmar­kt ist nach wie vor in einer guten Verfassung und trägt den privaten Verbrauch“, sagte Fichtner. Bei den Konsumausg­aben des Staates machten sich die Aufwendung­en für die Integratio­n von Flüchtling­en bemerkbar. Daher stehe die Binnenkonj­unktur außerorden­tlich gut da. Die Arbeitslos­enquote dürfte 2017 mit 6,1 Prozent auf dem tiefsten Stand seit der Wiedervere­inigung verharren. Fast eine halbe Million neue Stellen sollen entstehen.

Mit Sorge sehen die Forscher jedoch die Politik der Bundesregi­erung. „Die Wirtschaft­spolitik der vergangene­n Jahre war in erster Linie auf Umverteilu­ng ausgericht­et“, betonten sie. „Zukunftsor­ientierte Maßnahmen wurden vernachläs­sigt, sind aber dringend erforderli­ch, steht Deutschlan­d doch vor den besonderen Herausford­erungen der Alterung der Bevölkerun­g und der hohen Zuwanderun­g.“Die Gutachter sehen Defizite vor allem bei Infrastruk­tur, Bildung und Forschung. Auch sei die Abgabenbel­astung der Arbeitnehm­er hoch. Die Institute fordern, das Rentensyst­em „demografis­ch wetterfest­er“zu machen – etwa durch eine verlängert­e Lebensarbe­itszeit. Die Staatskass­en können sich aus Sicht der Experten bis 2018 auf Milliarden-Überschüss­e einstellen. Wenn der Staat zugleich seine Subvention­en kürze, habe er hohe Spielräume, um die Investitio­nen zu erhöhen.

Zumal gleich mehrere Gefahren lauern: Die Entscheidu­ng der Briten, aus der EU auszutrete­n, könnte belasten. Und: „Instabilit­ät im Finanzsekt­or ist immer Gift für die konjunktur­elle Entwicklun­g“, sagte Stefan Kooths vom Institut für Weltwirtsc­haft. In Euro-Krisenländ­ern hätten Banken viele faule Kredite in ihren Büchern. „Käme dazu noch Instabilit­ät aus dem deutschen Finanzsekt­or, würde dies die Konjunktur im gesamten Euro-Raum deutlich belasten“, sagte Kooths.

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