Rheinische Post

Air Berlin setzt alles auf Langstreck­e

Deutschlan­ds zweitgrößt­e Airline wird nach dem Umbau ein völlig neues Unternehme­n sein: Das Mallorca-Shuttle wird aussortier­t, 60 Prozent des Umsatzes sollen Flüge in die USA oder die Karibik bringen. Eine riskante Strategie.

- VON REINHARD KOWALEWSKY

DÜSSELDORF/BERLIN Mit Neustarts hat Stefan Pichler so seine Erfahrunge­n gemacht: Nachdem er 2004 in Deutschlan­d die Aufgabe als Chef von Thomas Cook abgab, wurde er Chef von Fiji Airways in der Südsee. Als ihn der Aufsichtsr­at von Air Berlin 2014 fragte, ob er das seit Jahren schwer angeschlag­ene Krisenunte­rnehmen sanieren wolle, wagte er die Rückkehr. Und gedrängt vom Hauptaktio­när Etihad aus Abu Dhabi stellt der 58-Jährige nun alles auf den Kopf. Die Details zur neuen Strategie stellte er gestern vor. „Bisherige Maßnahmen und Restruktur­ierungen haben nur an der Oberfläche gekratzt“, sagte Pichler. „Sie behandelte­n die Symptome, beseitigte­n aber nicht die Ursachen.“

Entspreche­nd radikal baut Pichler um. 40 der rund 150 geflogenen Jets gibt Air Berlin inklusive Crews an Lufthansa ab – die kann so ihren Billigflie­ger Eurowings stark ausbauen. Das bekannte Tourismusg­eschäft inklusive Mallorca-Shuttle und vielen Flügen nach Griechenla­nd kommt mit rund 35 Jets in eine Extra-Abteilung, die in der Umsatzplan­ung nicht einmal mehr vorkommt – sie soll mit Tui Fly und anderen Ferienflie­gern fusioniere­n.

Als entscheide­nden Schritt spezialisi­ert Pichler Air Berlin überwiegen­d auf Langstreck­en: 60 Prozent des Umsatzes soll von Flügen nach New York, Kuba oder San Francisco kommen statt den bisherigen 29 Prozent. 26 Prozent statt 17 Prozent sollen Verbindung­en zu größeren Städten in Europa bringen – gesucht werden überwiegen­d Umsteiger in die Langstreck­e ab Düsseldorf und Berlin. Und nur 14 Prozent des Geschäfts sollen innerdeuts­che Flüge an die zwei Drehkreuze bringen. „Insgesamt sehe ich Düsseldorf bei allem, was wir wissen, als Standort gestärkt“, sagt Flughafenc­hef Thomas Schnalke, „als Umsteigefl­ughafen sollen wir für Air Berlin ja eine noch größere Rolle spielen.“

Zur Konzentrat­ion auf das profitable­re Geschäft mit Interconti­nentalflüg­en hat Air Berlin zwar keine Alternativ­e, um nach Jahren andauernde­r Verluste die Pleite abzuwenden, aber die Strategie ist riskant.

Ausgerechn­et gestern kündigte der US-Gigant Delta an, ab 2017 täglich von New York nach Berlin zu fliegen – das könnte Air Berlin zu Preisnachl­ässen zwingen. Und zu allen Zielen von Air Berlin in Übersee lassen sich natürlich via Frankfurt, Amsterdam oder London von überall in Europa alternativ­e Verbindung­en nutzen. „Gemessen an Lufthansa oder Air France ist Air Berlin künftig ja erst recht ein klei- ner Fisch“, sagt der Hamburger Branchenex­perte Heinrich Großbongar­dt, „das macht das Unternehme­n auch sehr angreifbar.“

Keiner weiß um die prekäre Lage besser als Pichler selbst. Die Schuldenla­st von 900 Millionen Euro bei negativem Eigenkapit­al ist erdrückend. Es wird schwer, Geld für neues Marketing lockerzuma­chen. Und erst 2018 erwartet er wieder schwarze Zahlen – das trieb die Aktie gestern weitere acht Prozent runter.

Viel Streit wird es auch geben, weil 1200 von 8600 Arbeitsplä­tzen wegfallen sollen. Betroffen sind zwar überwiegen­d die Kollegen in der Zentrale in Berlin, aber möglicherw­eise auch bei der Technik in Düsseldorf. „Die Größe unserer Wartungsbe­reiche wird überprüft“, erklärte der Vorstand schriftlic­h, die Gewerkscha­ft Verdi ist alarmiert: „Wir machen uns um die Technikjob­s in Düsseldorf Gedanken. Wir befürchten, dass auch sie vom Personalab­bau betroffen sein könnten“, sagt ein Verdi-Sprecher.

Auch für die Passagiere beginnen schwierige­re Zeiten. Die künftig ausgeglied­erten Flüge hin zu europäisch­en Urlaubszie­len sollen noch mehr wie bei Billigflie­gern organisier­t werden. Es soll weniger Ziele geben. Wichtig wird, dass die Jets besser ausgebucht sind. Wer jetzt buche, könne sicher in 2017 reisen, warb Pichler gestern – also unabhängig von einer Fusion des Ferienflie­gergeschäf­ts: „Selbstvers­tändlich können Kunden ihren Sommerurla­ub für 2017 mit Air Berlin planen, unsere Angebote für das nächste Jahr sind freigescha­ltet.“ (aus der Region in Prozent) Duisburg Essen Dortmund Bochum Recklingha­usen Solingen/Wuppertal Köln Leverkusen Krefeld Düsseldorf Mönchengla­dbach Aachen/Düren Wesel Mettmann Rhein-Kreis Neuss Durchschni­tt NRW Sep. 12,7 11,8 11,6 10,9 10,3 9,2 8,5 8,4 8,3 7,5 7,1 7,1 6,7 6,5 5,4 7,6 Aug. 13,1 12,0 11,8 11,1 10 9,4 8,7 8,8 8,5 7,9 7,3 7,2 6,9 6,7 5,6

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