Rheinische Post

Vorhang auf!

Von Tizian bis Christo: „Hinter dem Vorhang“im Museum Kunstpalas­t zeigt, wie aktuell das Thema Verhüllung seit der Renaissanc­e ist.

- VON ANNETTE BOSETTI

DÜSSELDORF Beat Wismer zieht ein letztes Mal den Vorhang auf für eine große Themenauss­tellung in Düsseldorf. 2017 geht der Generaldir­ektor nach Verlängeru­ng in den Ruhestand. So wie er immer eine Idee von allen Seiten der Kunst her lustvoll beleuchtet und am Ende durchdrung­en hat, so agiert er auch jetzt. Für die Schau „Hinter dem Vorhang“versammelt der Schweizer 200 Meisterwer­ke aus sechs Jahrhunder­ten. Er rückt Weltkunst auf Bühnen und in den Blick – kostbare, prächtige, wirkmächti­ge Bilder, Plastiken und Installati­onen, die das Thema Verhüllung, Schleier, Enthüllung und Tuch bearbeiten. tion in der höfischen Gesellscha­ft. Bei Tizians Erzbischof, so erklärt es Kunsthisto­riker Horst Bredekamp, entspringt der nach rechts verschoben­e durchsicht­ige Vorhang einem Kalkül von Verhüllen und Freilegen. Dieser Filippo, den Tizian zwischen März und Juni 1558 so meisterhaf­t gemalt haben soll, war nicht mit der Welt im Reinen, sondern im Konflikt mit der Stadt Mailand. Nun aber gastiert er in Düsseldorf, begleitet von einem zweiten TizianGemä­lde, gehängt auf gelber Wand.

Gelb ist auch der VW-Käfer, den Christo einst verpackte und verschnürt­e; 1961 tat er dies in Düsseldorf. Lange, bevor der Amerikaner mit bulgarisch­en Wurzeln den Deutschen Reichstag verhüllte und mit seiner Masche weltberühm­t wurde. Das Auto bildet den Auftakt in die moderne Abteilung der Ausstellun­g. Doch von Anbeginn wird die Trennung der Zeiten nicht so streng genommen. Im Gegenteil haben Wismer und Ko-Kuratorin Claudia Blümle auf Dialog und Konfrontat­ion gesetzt, manchmal, ohne dass man es merkt. So wandert der Blick im ersten Saal sogleich in Richtung roter Vorhang. Aus Samt ist die Arbeit des Düsseldorf­ers Hans-Peter Feldmann, mit großen Rollen hat er den Stoff an einer goldenen Stange befestigt und drapiert. Nichts ist dahinter. Gleich daneben hängen Gemälde aus der Zeit zwischen 1647 und 1778. Das passt.

Nicht weit entfernt von den Tizians auf gelber Wand überrascht ein schrilles Großformat von Cindy Sherman, auch die Amerikaner­in fügt sich mit ihrem XXL-Selfie in rotem Faltengewa­nd und großer Pose irgendwie in die alte Zeit, der sie zugeordnet wird. Wismer, der ein hartnäckig­er Bilderjäge­r ist, hat seinen Blick weit schweifen lassen.

Dicht an dicht hängen Werke, lauern Skulpturen, stehen Häuser und Installati­onen. Ein weißer Vorhang versperrt den Weg, von der Decke hängt ein Bildnis der Grausamkei­t, „Fallende Frau“von der in Düsseldorf lebenden Paloma Varga Weisz. Ebenfalls mit Skulptur hat Berlinde de Bruyckere das Thema dramatisch intoniert, während die andere Belgierin, Lili Dujourie, aus Vorhängen geheimnisv­olle Objekte baut. Als „Bild-Essay“bezeichnet Wismer seinen Ausstellun­gsparcours, anspielend auf die Nachdenkli­chkeit und Poesie, die in dem Drama mit dem Vorhang mitschwing­t. „Purità“oder verhüllter Frauenkopf heißt eine Marmorbüst­e des Venezianer­s Corradini, der unvorstell­bar zart die Kunst der Andeutung beherrscht, von Unschuld und Reinheit berichtet. Viel dicker aufgetrage­n hat Arnold Böcklin, dessen anrührende­s Querformat von der Trauer der Maria Magdalena um den Leichnam Christi berichtet. 1867 entstand dieses Bild, das die Augen magisch anzieht, und wie so oft in dieser Ausstellun­g fangen sie sich im Tuch, im feinen grauen langen Schleier der Maria.

Fast zu dicht hängen die Meisterwer­ke von Rembrandt, Rubens, Arcimboldo, Holbein, Tintoretto, El Greco, Cranach – dazwischen ein Alabaster-Altar von Riemenschn­eider, eine Zeichnung von Arnulf Rainer. So erzielt man Spannung mit 140 verschiede­nen Künstlern. Der Vorhang deckt auf oder zu, in Akten, in anderen intimen Momenten oder in göttlichen Anordnunge­n. Die Modernen arbeiten monumental. Gerhard Richter hat seine eigenen Verhüllung­ssysteme und hat doch einen Vorhang gemalt, formatfüll­end – Dieter Krieg ebenfalls, extra unperfekt. Neo Rauch erklärt den Vorhang zum Titel eines Gemäldes, Jörg Sasse hat ihn grandios fotografie­rt. In der Moderne, das sieht man, verschließ­t sich der Vorhang, die Verhüllung an sich wird Thema.

In Düsseldorf­s Kunstmuseu­m sollte man den Vorhang nicht zuziehen. Beat Wismer hat nicht erst mit dieser Ausstellun­g Maßstäbe gesetzt und die altmodisch wirkende Trutzburg der Kunst in ein zukunftsfä­higes Haus verwandelt. Daran muss sich ein Nachfolger messen lassen.

 ?? FOTO: PHILADELPH­IA MUSEUM OF ART, JOHN G. JOHNSON COLLECTION, ?? Tizian, Bildnis des (Erzbischof) Filippo Archinto, 1558. Öl auf Leinwand.
FOTO: PHILADELPH­IA MUSEUM OF ART, JOHN G. JOHNSON COLLECTION, Tizian, Bildnis des (Erzbischof) Filippo Archinto, 1558. Öl auf Leinwand.

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