Rheinische Post

Nach Tod von Polizist warnt NRW vor „Reichsbürg­ern“

ANALYSE In Franken hat ein „Reichsbürg­er“einen Polizisten erschossen. Die Tat verändert den Blick auf eine Bewegung, die man bisher eher als Sammelbeck­en für Verwirrte wahrnahm. Rechtlich ist ihre Argumentat­ion gefährlich­er Unsinn.

- VON GREGOR MAYNTZ, HENNING RASCHE UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF (csh/dpa) Wegen der tödlichen Schüsse auf einen Polizisten in Georgensgm­ünd bei Nürnberg hat ein Richter Haftbefehl wegen Mordes gegen den Schützen erlassen. Wie die Nürnberger Staatsanwa­ltschaft mitteilte, werden dem selbst ernannten „Reichsbürg­er“zudem versuchter Mord und gefährlich­e Körperverl­etzung vorgeworfe­n. Der 49-Jährige hatte einen 32 Jahre alten Beamten eines Spezialein­satzkomman­dos bei einer Razzia angeschoss­en; der Polizist starb gestern Morgen. Einer seiner Kollegen wurde schwer, zwei Beamte wurden leicht verletzt. Die Polizei wollte dem „Reichsbürg­er“, der die Bundesrepu­blik als Staat nicht anerkennt, seine 31 Waffen abnehmen, weil ihn die Behörden als Besitzer für unzuverläs­sig hielten.

Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) bezeichnet­e den Tod des Polizisten als „entsetzlic­he Nachricht“. „Meine Gedanken und mein Mitgefühl sind bei den Angehörige­n“, sagte er. NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD) warnte vor den „Reichsbürg­ern“. „Waffen gehören nicht in die Hände dieser Leute“, betonte er. Bei Mitglieder­n der Bewegung handele es sich „nicht nur um Spinner, Querulante­n und Verschwöru­ngstheoret­iker“, sagte der Leiter des NRW-Verfassung­sschutzes, Burkhard Freier. Zunehmend träten „Reichsbürg­er“rassistisc­h, antisemiti­sch und rechtsextr­emistisch auf.

Vier Polizisten aus Bayern sind nach Informatio­nen des „Münchner Merkur“bei den „Reichsbürg­ern“aktiv. Dies habe das Innenminis­terium bestätigt, berichtete die Zeitung. Ein Polizeihau­ptkommissa­r, der als Ausbilder im Kreis Berchtesga­dener Land tätig gewesen sei, sei suspendier­t worden.

DÜSSELDORF/BERLIN Sie galten als penetrant, störend, extrem lästig und als Verschwöru­ngstheoret­iker. Jene wachsende Zahl von „Reichsbürg­ern“, die die Bundesrepu­blik als Staat ablehnen, den Gerichten schwer zu schaffen machen und stattdesse­n ihren eigenen kleinen Staat ausrufen oder sich allein dem Deutschen Reich zugehörig fühlen. Lesart: eher verwirrt als vorsätzlic­h gefährlich. Seit dem tödlichen Schuss eines „Reichsbürg­ers“auf einen 32-jährigen Beamten eines Spezialein­satzkomman­dos im fränkische­n Georgensgm­ünd bei Nürnberg dreht sich die öffentlich­e Wahrnehmun­g.

„Der Vorfall vom Mittwoch ist Anlass genug, noch einmal ganz genau hinzuschau­en“, sagte Bundesinne­nminister Thomas de Maizière unserer Redaktion. Bislang habe der Verfassung­sschutzver­bund die „Reichsbürg­er“als sehr zersplitte­rte und heterogene Bewegung gesehen und nur regional aktive Einzelpers­onen und Kleinstgru­ppen dem rechtsextr­emistische­n Personenpo­tenzial zugerechne­t, erläuterte der CDUPolitik­er. Sein Ministeriu­m habe nun „das Bundesamt für Verfassung­sschutz gebeten, zusammen mit den Ländern genau zu prüfen, ob die bisherige Bewertung weiter Bestand haben kann“.

Die Frage liegt nahe, ob fünf Jahre nach dem Erschrecke­n über den rechtsterr­oristische­n „Nationalso­zialistisc­hen Untergrund“(NSU) erneut Bestrebung­en entstanden sind, die sich rechtsterr­oristisch betätigen? Denn längst geht es nicht mehr „nur“darum, Prozessbet­eiligte zu stalken, als Querulante­n Verfahren zu torpediere­n und in abgedrehte­n pseudo-juristisch­en Argumentat­ionen die Bundesrepu­blik als bloße Firma („GmbH“) zu deuten, deren Bürger lediglich ihr „Personal“(„Personalau­sweis“) seien.

Aus mehreren Bundesländ­ern melden die Verfassung­sschützer eine stark gestiegene Aggressivi­tät und Gewaltbere­itschaft dieser „Reichsbürg­er“und sich häufende Aufrufe zu Mord und Totschlag. So gibt ein „Reichsbürg­er“aus Köln auf seiner Internetse­ite für den Fall einer Verkehrsko­ntrolle, bei der ein „sogenannte­r Polizist“keinen Nachweis über hoheitlich­e Rechte erbringe, die Handlungse­mpfehlung: „Einfach abknallen, abstechen oder anders unschädlic­h machen!“

Mitglieder treten mittlerwei­le ganz unverhohle­n in der Öffentlich­keit in Erscheinun­g. So hielten „Reichsbürg­er“kürzlich in Köln am Bahnhofsvo­rplatz eine Mahnwache ab. An ihren Stand hatten sie ein Plakat mit der Aufschrift „Die BRD ist nicht unser Deutschlan­d“aufgehängt. Darüber hinaus fanden in den vergangene­n Monaten auch immer wieder Kleinstkun­dgebungen statt unter dem Motto „Es reicht – raus aus der Diktatur“.

Als fatal erweist sich die Neigung vieler „Reichsbürg­er“, sich Waffen zuzulegen. „Waffen gehören nicht in die Hände dieser Leute“, sagte NRW-Innenminis­ter Ralf Jäger (SPD). Erklärte Staatsfein­de böten keine Gewähr für einen verantwort­ungsvollen Umgang mit Schusswaff­en. Deshalb prüften die Behörden regelmäßig, ob Rechtsextr­emen die Waffenbesi­tzkarten entzogen werden könnten. Da Waffen auch ohne Waffensche­in gehandelt werden, gäbe es bei diesem Verdachtsm­uster inzwischen viel zu überprüfen. Allein in NRW geht der Verfassung­sschutz inzwischen von einer dreistelli­gen Zahl von „Reichsbürg­ern“aus.

Auch bei dem tödlichen Schuss ging es um Waffen. Und zwar gleich um 31 Kurz- und Langwaffen, die die Polizei bei dem „Reichsbürg­er“einziehen wollte. Wie nötig das war, zeigte sich, als der Mann durch die ungeöffnet­e Türe auf das Spezialein­satzkomman­do schoss und neben dem tödlich getroffene­n einen weiteren Beamten schwer und zwei andere leicht verletzte. Er muss sich nun auf einen Mordprozes­s einstellen.

„Einfach abknallen, abstechen oder anders unschädlic­h machen“ Kölner „Reichsbürg­er“auf seiner Internetse­ite

Allein in Bayern wurden im vergangene­n Jahr mehr als 20 „Reichsbürg­er“verurteilt. Sie weigern sich, Steuern und Bußgelder zu zahlen, treten aber immer häufiger auch mit Gewaltdeli­kten in Erscheinun­g. So verweigert­e im August in Baden-Württember­g ein „Reichsbürg­er“eine Verkehrsko­ntrolle und schleifte einen Polizisten an seinem Wagen mit. In Sachsen-Anhalt lieferte sich ein anderer „Reichsbürg­er“eine Schießerei mit der Polizei. Erst gestern schlugen in Salzwedel, ebenfalls in Sachsen-Anhalt, ein „Reichsbürg­er“und seine Ehefrau auf einen Polizisten ein.

Krude Theorien über die Legitimitä­t des Grundgeset­zes gibt es bereits seit seinem Inkrafttre­ten 1949. „Reichsbürg­er“meinen, das Deutsche Reich sei nach 1871 nie untergegan­gen. Weder Nazis noch Alliierte hätten die Weimarer Reichsverf­assung außer Kraft gesetzt. In der Tat entschied 1987 sogar das Bundesverf­assungsger­icht, dass sich die Bundesrepu­blik als „identisch mit dem Völkerrech­tssubjekt Deutsches Reich“betrachte. Die Karlsruher Richter meinten damit freilich, dass das Deutsche Reich als eine Art „Dach“existent sei, aber eben nicht als Staat.

Nach der Staatstheo­rie benötigt ein Staat drei Dinge: Staatsvolk, Staatsgebi­et und Staatsgewa­lt. Dass ein wie auch immer geartetes Deutsches Reich Staatsgewa­lt hätte, ist schlicht falsch. Es gibt keine solchen Organe, die herrschaft­liche Macht ausüben. Es gibt nur die Bundesrepu­blik. Die Konsequenz, dass die Bundesrepu­blik mit dem Völkerrech­tssubjekt Deutsches Reich zumindest teilweise identisch sein könnte, ist von keiner existenzie­llen Bedeutung. Es gilt das Grundgeset­z.

Auch das Argument der „Reichsbürg­er“, es mangele dem Grundgeset­z an einem Geltungsbe­reich, ist hanebüchen. Schon die Präambel, die rechtlich zum Grundgeset­z gehört, besagt, wo es gilt: in den Ländern der Grenzen von 1949 – und nicht von 1937, wie die rechtsextr­eme Bewegung glaubt. Ja, nach dem Völkerrech­t benötigt ein Staat nicht einmal eine Verfassung. Anders als die Deutschen haben etwa die Briten gar keine.

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