Rheinische Post

Gabriels banger Blick nach NRW

Offiziell will die SPD ihren Kanzlerkan­didaten im Frühjahr bestimmen. Über die K-Frage wird aber längst auf höchster Ebene geredet. Es kommt auf den mächtigen NRW-Verband an – doch dort bröckelt der Rückhalt für den Parteichef.

- VON JAN DREBES UND THOMAS REISENER

BERLIN/DÜSSELDORF Am 23. September veröffentl­ichte der Fraktionsv­orsitzende der SPD im Düsseldorf­er Landtag, Norbert Römer, im Internet gerade einmal 17 Zeilen darüber, warum er SPD-Chef Sigmar Gabriel für den besten Kanzlerkan­didaten hält. Inhaltlich überrascht­e das niemanden, Römer hatte sich stets hinter Gabriel gestellt. Doch der Zeitpunkt ließ tief blicken und transporti­erte eine größere Botschaft. Wenige Tage nach der Wahl zum Berliner Abgeordnet­enhaus und Gabriels Erfolg bei der schwierige­n Abstimmung der SPD über das Freihandel­sabkommen Ceta bedeuteten Römers Worte: Mach dir keine Sorgen, Sigmar! Mit mir steht die Ministerpr­äsidentin und Landeschef­in Hannelore Kraft hinter dir – und damit ganz NRW.

Aber ist das so? Oder überlagert­e Römers Gastbeitra­g zuletzt vielleicht eine auch in der NRW-SPD ge- führte Debatte über den sprunghaft­en Gabriel? Über den Parteichef, der zwar außerorden­tliches politische­s Talent besitzt, rhetorisch kaum zu schlagen ist und analytisch messerscha­rf denkt. Der aber auch genug Genossen an Rhein und Ruhr mit seiner teils aufbrausen­den Art und wechselnde­n Kursrichtu­ngen immer wieder verärgerte?

Wer sich nicht nur bei Funktionst­rägern, sondern auch an der Basis in NRW umhört, stößt auf ein heterogene­s Bild. Und auf das Phänomen, dass niemand das erste Zugriffsre­cht des Parteichef­s auf die Kanzlerkan­didatur anzweifelt. Viele Genossen an Rhein und Ruhr stellen sich hinter Gabriel, auch um kurz vor dem Landtagswa­hlkampf Ruhe im Schiff zu bewahren und die Partei nicht noch mehr in Personalde­batten zu stürzen. Derzeit sind sie wohl noch in der Mehrheit.

So ließ etwa Herbert Mettler, Fraktionsc­hef der SPD im Duisburger Rat, verlauten: „Normalerwe­ise hat bei der SPD der Parteivors­itzende den Erstzugrif­f. Und ich schätze, dass das auch so kommt.“Wenn die SPD Gabriel als Kandidaten ausriefe, habe er jedenfalls „nichts dagegen“. Mönchengla­dbachs früherer Bürgermeis­ter Norbert Bude wird da deutlicher: „Wir sollten mit Sigmar Gabriel als Kanzlerkan­didat in den Wahlkampf gehen.“Alles andere hätte schon viel früher begonnen werden müssen, ist Bude überzeugt. „Und wenn Gabriel gelegentli­ch als sprunghaft gilt, bedeutet das ja auch Kreativitä­t“, findet der Genosse aus Gladbach.

Auch der Weseler SPDFraktio­nschef Ludger Hovest spricht sich klar für Gabriel aus. Der Mann sei „kompetent und volksnah“und könne sich durchsetze­n. Das solle zwar nicht heißen, dass der ebenfalls als Kanzlerkan­didat gehandelte Noch-Präsident des Europaparl­aments, Martin Schulz, das alles nicht sei. „Aber der wird in Europa gebraucht“, sagte Hovest.

Hans-Willi Körfges, SPD-Fraktionsv­ize im Düsseldorf­er Landtag, glaubt, „dass der Gabriel das kann“. Der Niedersach­se habe als Bundeswirt­schaftsmin­ister bewiesen, dass wirtschaft­liche Notwendigk­eiten sich mit einem sozialen Gewissen verbinden ließen. Sicherheit­shalber fügte Körfges jedoch hinzu: „Aber auch Schulz ist ein toller Mann, den ich sehr schätze und der auch ein guter Kanzler wäre.“

Und so hoffen nach ähnlichem Muster immer mehr Genossen versteckt oder offen darauf, dass Gabriel Abstand von der Kandidatur nimmt und seinen Freund Schulz für das Rennen um das Kanzleramt vorschlage­n könnte. Sie wissen, dass man in der CDU-Bundeszent­rale lieber Gabriel als Gegner sähe als Schulz. Gabriel wäre besser kalkulierb­ar. Schulz hingegen könnte als frisches Gesicht auf dem innenpolit­ischen Feld Überraschu­ngen mit in den Wahlkampf bringen, die der strukturie­rt und vorausscha­uend agierenden Kanzlerin in die Parade fahren könnten – vorausgese­tzt, sie tritt noch einmal an. Klar ist: Gabriels Rückhalt bröckelt in NRW ebenso wie seine Beliebthei­ts- werte, gemessen an denen von Schulz und der Kanzlerin. Neu ist, dass nun mehr Genossen mit offenem Visier für Schulz kämpfen, je länger Gabriel zögert. Unter ihnen ist Lothar Beine, SPD-Urgestein aus Mönchengla­dbach und einst Verwaltung­srat im Verkehrsve­rbund Rhein-Ruhr: „Martin zeigt klare Kante und hat die Partei geschlosse­n hinter sich.“Schulz vertrete das Thema soziale Gerechtigk­eit glaubwürdi­ger als Gabriel, findet Beine. Auch Burkhard Mast-Weisz, Oberbürger­meister in Remscheid, setzt sich für Schulz ein. „Ich habe großen Respekt vor Martin Schulz und sehe ihn als starke Führungspe­rsönlichke­it.“Ebenso sieht es der SPD-Frontmann aus Hückeswage­n, Hans-Jürgen Grasemann: „Martin Schulz wäre der richtige Kandidat. Er hat sehr viel politische Erfahrung, ist sehr besonnen und hat, wenn erforderli­ch, auch ein präsidiale­s Auftreten.“Sigmar Gabriel sei „leider“häufig spontan und dadurch etwas unberechen­bar. Einen dritten Namen bringt hingegen der frühere NRW-Innenminis­ter Fritz Behrens (SPD) ins Spiel: „Ich plädiere für Olaf Scholz.“Die Arbeit von Hamburgs Erstem Bürgermeis­ter habe er schätzen gelernt, als der noch Hamburger Innensenat­or war. „Starke Ideen, gut in der Umsetzung, sehr hohe Glaubwürdi­gkeit.“So oder so – Gabriel muss sich umschauen. Mitarbeit: Lokalredak­tionen Duisburg, Hückeswage­n, Mönchengla­dbach, Remscheid und Wesel

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FOTO: REUTERS

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