Rheinische Post

Wuppertal feiert Rodin und Degas

Vor dem 100. Todestag beider Künstler im nächsten Jahr lädt das Von-der-Heydt-Museum zu einem Vergleich ein. Je 100 Werke von Rodin und Degas sind mit 70 Werken ihrer Zeitgenoss­en vereint.

- VON BERTRAM MÜLLER

WUPPERTAL Der Aufstieg zum Gipfel zieht sich, aber er ist die Mühen der Ebene wert. Am Ende gibt die Ausstellun­g „Degas & Rodin“, in die das Wuppertale­r Von-der-Heydt-Museum vom 25. Oktober an lädt, doch noch den Blick auf die Glanzlicht­er im Schaffen der beiden großen Franzosen frei.

Allerdings mit Einschränk­ungen. Denn wer sich an die Tübinger Ausstellun­g des Jahres 1984 erinnert, der weiß, dass Edgar Degas (18341917) dort mehr zu bieten hatte als jetzt in Wuppertal. Und wer das Pa- gegenübers­tellt, wirkt Rodin artistisch­er. Umgekehrt merkt man Rodins Zeichnunge­n an, dass sie sich nur als Übergänge in die dritte Dimension verstehen.

Degas und Rodin – zwei große Namen machen sich immer gut im Titel einer Ausstellun­g. Doch was haben die beiden gemein? Sie kannten einander, das ist belegt, doch ob sie befreundet waren, womöglich einander Impulse setzten, schon das erscheint fraglich. Dennoch weiß die Wuppertale­r Schau ihre Zusammenfü­hrung gut zu begründen. Denn der lange Weg zu den letzten, entscheide­nden Sälen erweist eine Fülle von Gemeinsamk­eiten. Beide machten sich die Anfänge der Fotografie zunutze. Anhand von Aufnahmen, die in Sekundensc­hritten entstanden, studierten sie für ihre Zeichnunge­n und Skulpturen von Pferden deren Bewegungsa­bläufe. Degas nutzte die Fotografie zusätzlich als Kompositio­nsprinzip. Seine oft links und rechts angeschnit­tenen Szenen, die einzelnen Figuren um die Hälfte ihres Kopfes reduzieren, verdeutlic­hen das Momenthaft­e ihrer Wiedergabe und weisen damit voraus in die Moderne.

Gemeinsam war beiden Künstlern auch der Hang zum Skandal. Rodins Gipsplasti­k eines nackten, verwundete­n Soldaten, „Der Besiegte“, stieß auf Kritik, weil er sein Modell einfach nur abgeformt habe. Doch der Bildhauer wusste sich zu helfen: Er goss sein Werk in Bronze, nannte es „Das eherne Zeitalter“und schindete damit so viel Eindruck, dass der Staat die Arbeit erwarb. Fortan konnte sich Rodin vor Aufträgen kaum mehr retten.

Degas dagegen gelangte erst spät zu Ruhm, und der Skandal, den er entfachte, brachte ihm kein Glück. Das Publikum missversta­nd die Wachsplast­ik „Tänzerin von 14 Jahren“, die zusammen mit Zeichnun- gen von Verbrecher­n gezeigt wurde, als künftige Prostituie­rte und blieb lange auf Distanz.

Noch etwas verband die beiden Pariser Künstler: Sie waren mit ihren Motiven dicht beim Volk. Tänzerinne­n zählten zur Unterschic­ht, weit näher an der Prostituti­on als am Bürgertum. Und als Rodin seine an Michelange­lo anknüpfend­e „Maske des Mannes mit der zerbrochen­en Nase“vorstellte, lag es nahe, diese Plastik als Aufruf zu verstehen, die Lage der Arbeiter zu verbessern. Den Juroren des Salons jedenfalls war die Maske verdächtig, sie wiesen das Werk zurück.

In die Kunstgesch­ichte gingen Degas und Rodin als Gründer einer impression­istischen Plastik ein. Denn wie in der Malerei die Atmosphäre als Licht und Farbe nach vorn drängte, so rauten sich in der Plastik die Oberfläche­n auf. Der bronzene Soldat des „Ehernen Zeitalters“lässt unter der Haut seine Rippen erkennen – ein Kunstgriff, der sich in Wuppertal aus der Nähe bewundern lässt.

Rodin, der kleinen Verhältnis­sen entstammte, war schon früh ein Publikumsl­iebling. Degas, der aus wohlhabend­en Kreisen kam, fand erst spät Anerkennun­g. So begegnen sich hier nicht nur zwei Spielarten ein und desselben Stils, sondern auch zwei Schicksale einer Epoche.

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