Rheinische Post

Europa blamiert sich mit Ceta

Kanadas Handelsmin­isterin Freeland erklärt das Freihandel­sabkommen bereits für gescheiter­t. Dem Brüsseler EU-Gipfel gelingt es nicht, den Widerstand der belgischen Provinz Wallonien zu brechen.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BRÜSSEL Deutsche Wirtschaft­svertreter haben entsetzt auf das drohende Scheitern des europäisch-kanadische­n Freihandel­sabkommens Ceta reagiert. „Der Schaden für die außenwirts­chaftlich orientiert­e deutsche Wirtschaft wäre immens und in seiner ganzen Tragweite noch überhaupt nicht absehbar“, sagte Außenhande­lspräsiden­t Anton Börner. „Im Falle einer Nicht-Einigung wären Europas Glaubwürdi­gkeit und unser Ruf, ein ernstzuneh­mender Verhandlun­gspartner zu sein, ruiniert.“Ähnlich äußerte sich DIHK-Außenhande­lschef Volker Treier. „Sollte die Ratifizier­ung nun doch noch auf der Zielgerade­n scheitern, wäre dies ein großer Schaden für die internatio­nale Glaubwürdi­gkeit beim Thema Handelspol­itik“, sagte Treier.

Das unterschri­ftsreife Abkommen droht am Widerstand der französisc­hsprachige­n Provinz Wallonien im Süden Belgiens zu scheitern. Trotz intensiver diplomatis­cher Bemühungen und stundenlan­ger Verhandlun­gen ging der EUGipfel in Brüssel gestern ohne eine Einigung mit Wallonien zu Ende. Ceta sollte am kommenden Donnerstag unterzeich­net werden. Ob es dazu kommt, ist nun fraglich. „Ich bin besorgt“, sagte EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk. „Es geht hier auch um den Ruf Europas.“

Die kanadische Handelsmin­isterin Chrystia Freeland brach gestern Nachmittag ihre Gespräche mit dem wallonisch­en Ministerpr­äsidenten Paul Magnette ab und erklärte Ceta bereits für gescheiter­t. Die EU, so die Ministerin, sei derzeit nicht in der Lage, mit Kanada ein Handelsabk­ommen abzuschlie­ßen.

Gelingt es der EU in den kommenden Tagen nicht doch noch, die frankophon­e 3,5-Millionen-EinwohnerP­rovinz durch Zusatzerkl­ärungen umzustimme­n, wäre die europäisch­e Staatengem­einschaft internatio­nal blamiert. Zudem würden die Zweifel an ihrer Handlungsf­ähigkeit wachsen. Denn auch die Uneinigkei­t der Europäer bei der Bewältigun­g der Flüchtling­skrise und der absehbare britische EU-Austritt werfen die Frage auf, ob die EU in ihrer bisherigen Struktur und mit ihren komplizier­ten Abstimmung­smechanism­en fortbesteh­en kann.

Die belgische Zentralreg­ierung setzt sich zwar wie die übrigen 27 Staaten der Europäisch­en Union für das Ceta-Abkommen ein. Ihr sind aber die Hände gebunden, weil in Belgien auch alle fünf regionalen Parlamente zustimmen müssen. Der wallonisch­e Ministerpr­äsident Magnette erklärte, es habe zwar Fortschrit­te gegeben, aber wegen der strittigen Frage der Schiedsger­ichte noch keine Einigung. Dahinter verbirgt sich, dass Unternehme­n einzelne EU-Länder vor einem Investitio­nsgerichts­hof auf Schadeners­atz verklagen können, wenn sie ihre Vorhaben dort durch Regulierun­gen behindert sehen. An diesem Punkt war das Abkommen nach massiven Protesten der CetaGegner bereits nachgebess­ert worden. Die Kritiker verlangen jedoch weitere Zusatzerkl­ärungen.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wollte ihre Hoffnung nicht endgültig aufgeben. „Ich bin optimistis­ch, dass man vielleicht noch eine Lösung findet“, sagte sie. Ähnlich äußerte sich EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker. „Ich verliere nicht die Hoffnung“, sagte er. In den nächsten Tagen könne es noch eine Einigung geben.

„Wenn man sich die innerstaat­lichen Entscheidu­ngsstruktu­ren Belgiens anschaut, könnte man auf die Idee kommen, dass Belgien ein ,failed state’ ist“, sagte Europapoli­tiker Elmar Brok (CDU). „Das ist der Egotrip eines Mannes. Der wallonisch­e Ministerpr­äsident hält Europa auf, ich halte das für unverantwo­rtlich.“

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