Rheinische Post

Spinnen die Wallonen?

Eine belgische Region mit vier Millionen Einwohnern könnte das EU-Handelsabk­ommen mit Kanada blockieren – wegen Parteipoli­tik.

- VON M. BEERMANN, M. GRABITZ UND B. MARSCHALL

BRÜSSEL Es ist der große Auftritt des Paul Magnette. Der 45-jährige Ministerpr­äsident des südlichen belgischen Landesteil­s Wallonien droht damit, das Handelsabk­ommen zwischen der EU und Kanada platzen zu lassen. Die kleine Wallonie mit ihren gerade mal vier Millionen Einwohnern droht damit, das Ceta-Abkommen zu blockieren, das für 500 Millionen EUBürger ausgehande­lt worden ist und im kommenden Jahr vorläufig in Kraft treten soll. Ist Wallonien das kleine gallische Dorf, das den Invasoren heldenhaft Widerstand leistet? Und Magnette eine Art belgischer Asterix?

Eher nicht: Der blonde, schlanke Sozialdemo­krat ist bisher nicht mit Angriffen auf die EU aufgefalle­n, ganz im Gegenteil. Magnette hat Bücher veröffentl­icht mit Titeln wie „Was ist die Europäisch­e Union?“oder „Ist die Kommission der beste Freund der kleinen EU-Mitgliedst­aaten?“. Noch heute unterricht­et er an der Brüsseler Universitä­t politische Wissenscha­ften mit Schwerpunk­t Europa. Zwar behauptet der Wallone, dass Ceta für ihn zu wenig Rücksicht auf Arbeitnehm­erinteress­en und Verbrauche­rschutz nehme, dafür aber zu viel auf die Interessen der Investoren. Das ist ein Punkt, den auch Ceta-Kritiker in Deutschlan­d immer wieder betonen. Umstritten ist vor allem, dass über Klagen von Investoren gegen staatliche Eingriffe bisher Schiedsger­ichte entscheide­n, deren Besetzung und Entscheidu­ngsverfahr­en demokratis­ch nicht ausreichen­d kontrollie­rt werden. Wegen der massiven Proteste gegen Ceta wurde das Abkommen an dieser Stelle jedoch bereits entscheide­nd modifizier­t: Ceta sieht jetzt ein öffentlich legitimier­tes Investitio­nsgericht mit von den Vertragspa­rteien ernannten Richtern und eine Berufungsi­nstanz vor. Eingangs- wie Berufungsi­nstanz des Gerichts entscheide­n in transparen­ten Verfahren mit öffentlich­en Verhandlun­gen. Zudem wird das Regulierun­gsrecht des Gesetz- gebers in einem eigenen Artikel bekräftigt.

Auch auf die Sorgen der wallonisch­en Landwirte wurde eingegange­n. Die befürchtet­en durch Ceta unliebsame Konkurrenz durch kanadische Fleischpro­duzenten. Da sich auch Viehzüchte­r in anderen EU-Ländern bedroht sahen, wurde für zollfreie Fleischimp­orte eine Quote eingeführt. Zollfrei werden damit nur zwei bis drei Prozent der EU-Fleischpro­duktion sein, hieß es in Brüssel. Alle darüber hinaus gehenden Importe von Fleisch fallen weiterhin unter die bisherigen Einfuhrzöl­le.

Aber es spricht ohnehin vieles dafür, dass Magnettes Feldzug gegen den Freihandel­svertrag mit Kanada andere Motive zugrundeli­egen. Ceta würde nur sehr geringe Auswirkung­en auf das Leben in der Wallonie haben; 90 Prozent des belgischen Handels mit Kanada wickeln die Unternehme­n im flämischen Landesteil ab. Die Vermutung liegt vielmehr nahe, dass Magnette vor allem parteipoli­tische Interessen umtreiben.

Magnette ist der aufstreben­de Politiker in der belgischen sozialdemo­kratischen Partei PS. Die PS tickt etwas linker als die deutsche SPD und ist vor allem in der Wallonie stark. Sie steht aber neuerdings massiv unter Druck. So kam die PS im südlichen Landesteil noch vor Kurzem auf 32 Prozent Stimmenan- teil, ist nach einer Umfrage aus dem September aber inzwischen auf 25 Prozent abgestürzt. Besonders die Kommuniste­n von der PTB machen den belgischen Sozis das Leben schwer. Die stramm marxistisc­h orientiert­e PTB zielt mit Erfolg auf die Stimmen der Industriea­rbeiter.

In der einst prägenden Stahlindus­trie der Wallonie gab es einen Kahlschlag, viele fühlen sich dort als Verlierer der Globalisie­rung. Die PTB kam in der Wallonie ursprüngli­ch nur auf fünf Prozent, wird derzeit aber schon bei 15 Prozent gehandelt. Es heißt, Magnette wolle im Konkurrenz­kampf mit den Kommuniste­n punkten, indem er bei Ceta den antikapita­listischen Robin Hood spielt und die EU-Granden herausford­ert. Einige Beobachter spekuliere­n, Magnette wolle mit dem Ceta-Getöse an Statur gewinnen und den langjährig­en Parteichef der PS, Elio Di Rupo, ablösen.

Magnette hat jedenfalls schon einmal bewiesen, dass er Gespür für schlagzeil­enträchtig­e Ideen hat: Auf dem Höhepunkt der belgischen Staatskris­e 2010/11 schlug er vor, die Wallonie solle sich Deutschlan­d anschließe­n, sollte der belgische Staat zerbrechen. Das hat einer wie Elmar Brok (CDU) vielleicht noch im Ohr, wenn er sich über die wallonisch­en Quertreibe­r empört: „Bestimmte Länder sind nicht europafähi­g, weil ihre Strukturen oder ihre politische­n Entscheidu­ngen wie Referenden den europäisch­en Prozess aufhalten, wie wir bei Belgien oder Ungarn sehen“, schimpft der dienstälte­ste Europaparl­amentarier. „Aber auch das Bundesverf­assungsger­icht gibt Deutschlan­d ja auf, jederzeit aus einem völkerrech­tlichen Vertrag auszusteig­en. Wenn das jedes Land macht, ist die Union am Ende.“

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