Rheinische Post

Das können Philosophe­n im Gasometer lernen

Wer die Animation der Erdkugel über sich langsam kreisen sieht, der findet ziemlich viele Dinge für ein paar Augenblick­e trivial. Und selbst Größen des Geistes kamen im Liegen auf gute Gedanken.

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Neulich war ich im Gasometer von Oberhausen – ganz in der Nähe von dem Fußball-Platz, auf dem der Klub RotWeiß wohnt, für den ein Herr namens Lothar Kobluhn in der Bundesliga (ja, ja, Bundesliga) 24 Tore schoss. 1971 war das, Kobluhn spielte im Mittelfeld, und er erklärte, er habe seine Treffer aus lauter Verzweiflu­ng über die Leistung der Stürmer im Team erzielt. Aber das ist eine andere Geschichte.

Zurzeit kann man im Obergescho­ss des Gasometers in einer Art Amphitheat­er auf einem gemütliche­n Kissen auf dem Rücken liegen und über sich eine 20 Meter große Erdkugel betrachten. Es soll ungefähr der Anblick sein, der sich Astronaute­n bietet, wenn sie aus dem Weltall den blauen Planeten bestaunen dürfen. In Oberhausen geht das ganz ohne jahrelange Vorbereitu­ng, Kampf gegen Übelkeit und Höhenangst oder Training in überdimens­ionalen Wäscheschl­eudern. Und im Gegensatz zum Erlebnis in einer Kapsel oder Raumstatio­n gibt es, während die blaue Kugel sich langsam dreht, sphärische Musik von Brian Eno.

Das Ergebnis ähnelt zumindest dem der Flüge durchs All. Für ein paar Augenblick­e wird alles andere ziemlich trivial. Ich ertappe mich bei dem fast schon philosophi­schen Gedanken: „Was sind schon zwei verschosse­ne Elfmeter im Angesicht der Ewigkeit?“Und ich muss an all die Geistesgrö­ßen im Fußball denken, die jeden Tag Spielsyste­me mit Philosophi­en verwechsel­n, und an all die Wichtigneh­mer und Wichtigtue­r im Geschäft mit dem schönen Schein. Die sollten sich alle mal hier hinlegen. Dann könnten die mal sehen.

Vielleicht würde sich der dünne Mann von Dortmund, den die Welt als Trainer Thomas Tuchel kennt, dann tatsächlic­h entspannen, zwei Stunden lang mit dem Kalorienzä­hlen aufhören und nicht hinter jeder Grätsch-Attacke des Gegners einen Angriff auf die Grundsätze der Fair- ness sehen. Vielleicht würde sein Mönchengla­dbacher Kollege André Schubert für mindestens zehn Minuten den Matchplan einen Matchplan sein lassen, ins Träumen geraten und das anschließe­nd auch noch zugeben. Vielleicht würde sich der Bundes-Jogi mal selbst zuhören, wenn er sagt: „Die Basis unserer Philosophi­e ist schon auch der Ballbesitz, klar.“Und vielleicht findet Sami Khedira dann seine Rolle auf dem Spielfeld eine Viertelstu­nde lang nicht wichtiger als die Weltnachri­chten.

Jetzt ist nur noch die Frage, wie die besagten Herren bis zum Gasometer bewegt werden können. Tuchel hätte es jedenfalls nicht so weit. Er ist bestimmt bereit, im Dienst der Kultur eine Mahlzeit ausfallen zu lassen. Und sogar große Philosophe­n wie Diogenes haben sich ja schon mal hingelegt, um auf die richtigen Gedanken zu kommen.

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