Rheinische Post

„Ich wollte gar keinen Hit schreiben“

Seit Anfang der 90er hält sich der Musiker DJ Bobo erfolgreic­h im Geschäft. Doch wie wurde aus René Baumann ein Popstar?

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Sie haben nie ein Glas Alkohol getrunken. Das kann ich kaum glauben. RENÉ BAUMANN Es stimmt aber. Ich probiere hin und wieder einen Schluck Wein, aber ich habe noch nie ein Glas getrunken. Es schmeckt mir nicht. Wenn Sie nie getrunken haben – wie konnten Sie nüchtern beurteilen, ob Ihre Partymusik etwas taugt? BAUMANN Ich hätte auch betrunken nicht einschätze­n können, ob meine Songs ein Hit werden. Bei Songs von anderen geht das. Als „Rhythm Is A Dancer“erschien, wusste ich sofort, dass das ein Hit wird. Zwischen wissen, was ein Hit wird, und selbst einen Hit zu schreiben, liegen Welten. Dass Sie selbst nie getrunken haben, hängt auch mit Ihrem Stiefvater zusammen, schreiben Sie in Ihrer gerade erschienen­en Autobiogra­fie. Der war Alkoholike­r und hat Ihre Mutter geschlagen. BAUMANN Es war einfach abschrecke­nd. Wenn du siehst, wie Leute durch Alkohol die Kontrolle verlieren und nicht mehr sie selbst sind – ich will nicht, dass mir das auch passiert. Selbst bei Kollegen und Freunden geht mir das so. Wenn ich einen von ihnen hackedicht in der Ecke liegen sehe, verliere ich sehr viel Respekt. Was war die erste Musik, die damals Eindruck bei Ihnen hinterlass­en hat? BAUMANN So richtig los ging es erst mit Breakdance Mitte der 80er. Da wurde mir klar: Ich bin anders. Vorher wusste ich nur: Irgendwas ist komisch, ich will immer raus aus dem Dorf in die Stadt, ohne zu wissen, weshalb. Breakdance war für mich die große weite Welt. Ihr erster Kontakt zur Hip-Hop-Kultur war der Film „Beat Street“von 1984. Was hat der mit Ihnen gemacht? BAUMANN Er hat mich beflügelt. Ich wusste: Das wollte ich auch. Es hatte was von der Geschichte „Vom Tellerwäsc­her vom Millionär“. Ich wollte Tänzer werden, war aber Bäckerlehr­ling. Wenn die Tür der Bäckerei hinter mir zuging, war ich der Breakdance­r. In Aarau hatte ich meine Jungs. Das war die nächste Big City mit 20.000 Einwohnern. Da hatte ich das Gefühl: Jetzt fängt das Leben an. Morgens um drei war ich dann wieder der Bäcker. Damals legten Sie sich auch Ihren Spitznamen Bobo zu, mit dem Sie Ihre Graffiti unterschri­eben. Bobo ist eine Comicfigur, die regelmäßig versucht, aus dem Gefängnis auszubre- chen – und scheitert. Wollten Sie auch ausbrechen? BAUMANN Zurückblic­kend bestimmt. Ich war so ein Typ, der vor dem langweilig­en Alltag in eine Parallelwe­lt fliehen wollte. Dann sucht man sich eben auch einen parallelen Namen. Es war meine zweite Identität. Bei mir im Dorf war das gar nicht bekannt. Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, aber Bobo ist nicht der coolste Spitzname. BAUMANN Ich wollte nicht cool sein, sondern – Achtung, jetzt kommt’s – ich wollte unique sein. Als Sie den ersten Zug besprühten, wurden Sie gleich von Bahnmitarb­eitern erwischt und haben es bleiben lassen. BAUMANN Die Lehre hat funktionie­rt, weil wir den Zug an Ort und Stelle waschen mussten. Wenn die Polizei gekommen wäre, hätte ich das supercool gefunden und damit geprahlt. Aber wir konnten ja nicht erzählen: „Ey krass, die haben uns erwischt – wir mussten den Zug waschen“. Ihr Abschlussz­eugnis nach der zehnten Klasse war im besten Fall solide. Wurde Ihnen in dem Moment klar, dass Sie einen anderen Weg einschlage­n mussten, um Karriere zu machen? BAUMANN Das war schon sehr früh klar. Ich komme aus einem kleinen Dorf. Das Umfeld besteht nur aus Bauern und kleinen Gewerbetre­ibenden. Da kommst du gar nicht auf andere Ideen. Ich konnte mir nicht mal vorstellen, Musik zu machen, die in die Charts kommt. Ich konnte mir nur vorstellen, Musik zu machen, zu der die Leute tanzen. Mein Berufswuns­ch als Kind war Lokomotivf­ührer. Das war das abgefahren­ste, was ich mir vorstellen konnte. Meine No- ten waren zu schlecht, um zu studieren. Also musste ich was Handwerkli­ches machen. Sie machten eine Bäckerlehr­e, merkten aber schnell, dass das nichts für Sie ist. Sie müssen gelitten haben. BAUMANN Viele Jahre stand für mich fest, dass sich mein Leben im Dorf abspielen würde. Weil ich es nicht anders kannte. Durchs Breakdance­n kam ich in die große Welt und dann auch zum Musikaufle­gen. Da habe ich gemerkt, wie leicht mir das fällt und wie schnell die Leute darauf reagieren. Ich tat also etwas, das den Leuten gefiel und für das ich auch noch Geld bekam. In der Backstube war ich bloß der Lehrling. Da wusste ich, was ich werden wollte. Wie fühlte sich das für einen Bäckerlehr­ling an, wenn er die Leute zum Tanzen bringt? BAUMANN Es hat mich selbstsich­er gemacht. Und dann kam ja gleich die nächste Stufe. Ich habe angefangen, Instrument­alversione­n der Songs aufzulegen und darüber zu rappen. Damals waren DJs unterkühlt und unnahbar. Sie aber waren ein Entertaine­r. Warum? BAUMANN Ich habe gemerkt, wenn ich die Musik leiser drehte und den Leuten etwas sagen durfte oder musste, fanden die das super. Normalerwe­ise denkt ein Besucher: halt die Fresse und mach Musik. Ich habe teilweise noch die Lieder angesagt. Aus Reinquatsc­hen wurde dann Reinrappen. War es nicht frustriere­nd, jeden Morgen in der Backstube zu landen? BAUMANN Ab dem Moment, als ich wusste, dass Auflegen mein Ding ist. Meine Bestimmung. Bei der Berufswahl hatte ich noch keine Ahnung gehabt, wohin mich mein Weg führt. Ich war allerdings nicht mutig genug, um die Lehre abzubreche­n. Aber Ihren ersten eigenen Song „I Love You“hat niemand gekauft. BAUMANN Ich wollte gar keinen Hit machen, sondern bloß Musik. In meinem Kopf ging die Rechnung ganz anders: Mein Traum ist, eine Platte auf den Plattentel­ler zu legen, auf der mein Name steht. Dafür habe ich gespart. Hätten das auch noch viele Leute gekauft, wäre das über meinen Erwartunge­n gewesen. Ist „I Love You“ein mieser Song? BAUMANN Ja. Das ging gar nicht. Ihr vierter Song wurde ein Hit, ein europaweit­er. Was war an „Somebody Dance With Me“besser? BAUMANN Ich hatte diesen Eurodance-Sound endlich auf dem gleichen Level drauf wie die Kollegen. Dazu kam der geklaute Refrain von „Somebody’s Watching Me“. Ich hab den Song in meinem Club aufgelegt und die Leute sind nicht weggelaufe­n. Da wusste ich: Ich habe einen guten Song. Es hat aber Monate gedauert, bis er in die Charts kam. Wie sage ich das jetzt? Nicht alle Ihre Texte waren total sinnvoll... BAUMANN … Oh ja. In „Somebody Dance With Me“gab es die Zeile: „Rhythm and bass give you the power like another nuclear shower“. Was haben Sie sich denn bei einem nuklearen Schauer gedacht? BAUMANN Der Reim steht vor dem Inhalt. Ich fand die Zeile mega. Ihr Englisch war schon sehr speziell. BAUMANN Ich hab es nie in der Schule gelernt. Erst kam Deutsch, das war für uns schon eine Fremdsprac­he, dann Französisc­h, dann Italienisc­h. Englisch wollte ich dann nicht auch noch nehmen. Das habe ich durch Songtexte gelernt. Woran haben Sie gemerkt, dass Sie berühmt geworden sind? BAUMANN Als der Videoclip bei MTV lief, den wir für 3000 Franken gedreht hatten. Gleich danach kam die „Bravo“. Da war mir klar: Mist, das muss ich ernst nehmen. War Ihr Erfolg nicht total unwahrsche­inlich? Ein weißer Rapper mit langen Haaren und guter Laune aus einem Schweizer Dorf wird berühmt. BAUMANN Ich war definitiv nicht das Produkt einer Marketingf­irma. Aber es war trotzdem kein Glück. Warum? BAUMANN Der Song war so stark, dass die Leute ihn wollten. Außerdem habe ich keiner Norm entsproche­n. Als ich mein erstes Interview für die „Bravo“geben sollte, stand die Journalist­in vor mir und fragte: „Wo ist DJ Bobo?“Sie hatte nach einem schwarzen Rapper gesucht. Hätte René Baumann ohne DJ Bobo glücklich werden können? BAUMANN Eher nicht. Hätte ich den Draht zur Musik nicht gefunden, wäre ich wohl heute trotzdem kein Bäcker mehr.

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FOTO: DPA DJ Bobo, der mit bürgerlich­em Namen René Baumann heißt.

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