Rheinische Post

Elite-Gymnasien für Problemvie­rtel

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Fast drei Viertel der jungen Erwachsene­n fühlen sich nicht gut auf das Berufslebe­n vorbereite­t. In einer aktuellen Umfrage schneidet unser Bildungssy­stem erneut katastroph­al ab. Dabei entscheide­t die Qualität der Bildung nicht nur über den eigenen Lebensweg. Es ist für uns alle die Wohlstands­frage: Wenn wir uns heute mit höchstens mittelmäßi­ger Bildungspo­litik zufriedeng­eben, dann werden wir morgen auch nur noch mittelmäßi­g leben.

Insbesonde­re in Nordrhein-Westfalen türmen sich die Probleme. Die Bildungsar­mut ist hoch, die Unterricht­sversorgun­g schlecht. Die Regierung demotivier­t die Lehrerinne­n und Lehrer. An Gymnasien und Berufskoll­egs wurden Lehrerstel­len gestrichen. Aus der guten Idee der gleichzeit­igen Förderung von Kindern mit und ohne Behinderun­g wurde eine Ideologie, die alle überlastet. Und es ist respektlos, dass wir den Schülerinn­en und Schülern sanierungs­bedürftige Schultoile­tten, Klassen- und Fachräume sowie uralte Computer zumuten.

Nordrhein-Westfalen sollte sich ein ambitionie­rtes Ziel setzen: weltbeste Bildung. Das heißt übrigens ausdrückli­ch nicht „Abitur für alle“, denn auch der berufliche Bildungswe­g bietet großartige Perspektiv­en. Aber wir sollten uns zum Beispiel bei Fremdsprac­hen, mathematis­ch-naturwisse­nschaftlic­hen Kenntnisse­n und dem Einsatz der digitalen Medien mit den führenden Bildungsna­tionen der Welt messen. Ausstattun­g und Methoden der Schulen müssen modernisie­rt werden. Ja, das erfordert eine enorme Kraftanstr­engung – ein „Mondfahrtp­rojekt“. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Aber wir müssen es starten. Hier sind fünf erste Impulse: Erstens Der Bildungsfö­deralismus hat sich überlebt. Nordrhein-Westfalen steht nicht im Wettbewerb mit Sachsen, sondern Deutschlan­d im Wettbewerb mit Nordamerik­a und China. Statt 16 Mal das Rad neu zu erfinden, sollten die Länder untereinan­der und mit dem Bund kooperiere­n. Wir brauchen eine bundesweit­e Vergleichb­arkeit der Schulen, einheitlic­he Abschlussp­rüfungen und eine transparen­te Evaluation der Unterricht­squalität. Für weniger Reibungsve­rluste und mehr gemeinsame Finanzieru­ng muss auch das Grundgeset­z modernisie­rt werden. Insbesonde­re die CSU muss verstehen, dass der Bildungsfö­deralismus vielleicht zum Jahr 1958 im Allgäu passt, aber nicht zum Jahr 2016 mit Digitalisi­erung und mobilen Menschen. Zweitens Wir wollen den Schulen vor Ort mehr Entscheidu­ngsfreihei­t geben, wie sie die Lernziele erreichen. Internatio­nale Studien zeigen: Dadurch steigt die Kreativitä­t der Pädagogen und das Qualitätsn­iveau des Unterricht­s. Auch beispielsw­eise über die gymnasiale Schulzeit (G8/G9) sollten die Schulen selbst entscheide­n können. Denn wo G8 funktionie­rt, sollte man die Schulen in Ruhe lassen. Wo G9 gewünscht ist, muss man es ermögliche­n. Denn die Lage kann von Ort zu Ort unterschie­dlich sein. Wichtig ist, dass die generelle Vernachläs­sigung des Gymnasiums beendet wird. Alle Gymnasien müssen organisato­risch und personell besser unterstütz­t werden, denn auch so erleichter­t man den Schülerinn­en und Schülern das Leben. Drittens Wir brauchen eine Initiative für Bildung mit digitalen Medien. Heute findet der Schulunter­richt oft noch in der Kreidezeit statt – an vielen Schulen fehlen schnelles Internet, W-Lan, interaktiv­e Smartboard­s und Tablets. Bund und Land wollen zwar endlich Geld zur Verfügung stellen. Experten sagen aber: Für das digitale Klassenzim­mer 4.0 reicht das nicht aus. Hier muss deutlich mehr passieren. Und das Land muss vor allem in umfassende Fortbildun­g zur Unterstütz­ung der Lehrkräfte investiere­n. Digitales Lernen im Unterricht muss fester Bestandtei­l aller Schulfäche­r werden. Viertens Nordrhein-Westfalen darf sich mit der hohen Bildungsar­mut nicht weiter abfinden. Tausende Jugendlich­e verlassen die Schule ohne Abschluss. Und in Mathematik und Naturwisse­nschaften erreichen viele Schüler hierzuland­e kaum Mindeststa­ndards. Wir müssen neue Wege finden, wie schulische Erfolge von der sozialen Herkunft entkoppelt werden. Ich bin überzeugt, dass uns dabei eher das positive Beispiel und das Leistungsp­rinzip helfen als Gleichmach­erei. Eine konkrete Idee: In 30 Stadtteile­n unseres Landes mit den größten sozialen Problemen gründet das Land Elite-Gymnasien – ausgestatt­et mit den modernsten Mitteln für den naturwisse­nschaftlic­h-technische­n Unterricht. Bereits im Kindergart­en sollen die besten Talente entdeckt werden und sich für den Besuch dieser Schulen qualifizie­ren. Statt mit ihren Kindern aus den Schulen in diesen Stadtteile­n zu fliehen, werden dann viele Eltern aktiv dorthin streben. Wo benachteil­igte Kinder wohnen, schaffen wir besondere Exzellenz. Das sendet ein Aufbruchsi­gnal ins ganze Land. Fünftens Voraussetz­ung für weltbeste Bildung ist, dass der Unterricht tatsächlic­h stattfinde­t. Wir fordern eine Unterricht­s-Garantie für alle Schulen. Dazu benötigen wir endlich die schulschar­fe Erfassung des Unterricht­sausfalls – was vom Schulminis­terium über Jahre verhindert wurde.

Natürlich sind diese fünf Impulse unvollstän­dig. Und wir werden auch niemals vollständi­g mit unserem Bildungssy­stem zufrieden sein. Sollten wir auch nicht, weil es ständig aktualisie­rt und verbessert werden muss. Sechs Jahre Schulpolit­ik unter der grünen Ministerin Sylvia Löhrmann haben dazu keinen Beitrag geleistet. Im Gegenteil. Denn statt Ideologie und Gleichmach­erei brauchen wir Freiheit und Freude über besondere Leistungen.

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