Rheinische Post

Putins Weltanscha­uung

Ein Philosophi­e-Journalist analysiert, was den russischen Präsidente­n antreibt.

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Über Putin wird viel geschriebe­n, auch in zahlreiche­n Büchern. Michel Eltchanino­ff, Chefredakt­eur des französisc­hen „Philosophi­e Magazins“, sucht nach den weltanscha­ulichen Bezügen seines Denkens, die er vor allem aus seinen Reden belegt. Er ist für diese Suche ausgewiese­n, er hat über Dostojewsk­i promoviert. Denn der russische Schriftste­ller gehört zu den Denkern, auf die sich Putin bezieht. Eltchanino­ff zeigt, dass dies der Weite Dostojewsk­is entspricht. „Er ist Nationalis­t, Panslawist und intolerant gegenüber anderen Konfession­en und Religionen, zugleich ist er Universali­st und aus tiefster Überzeugun­g Europäer.“

Mit diesem Blick lässt Eltchanino­ff seine prognostis­chen Urteile über Putin etwas offen. Er konstatier­t zwei weitanscha­uliche Tendenzen: die Idee des Imperiums und die Apologie des Krieges, aber er sagt: „In Wahrheit weiß niemand, wie Putin sein Imperium entwickeln wird, und niemand weiß, wo, wann und wie er dabei vorgeht. Je nach dem, was die Situation verlangt, wird er taktisch handeln, sich mehr auf diese, mehr auf jenen Idee stützen. Doch das Imperium und der Krieg werden gewiss weiter die Grundlagen seines Handelns sein.“

An dieser Stelle ist es erforderli­ch, Putin globalpoli­tisch zu relativier­en. Der scheidende US-amerikanis­che Präsident Obama hat den Satz geprägt: „Nur weil wir den besten Hammer haben, ist nicht jedes Problem ein Nagel.“Die imperiale Vorstellun­g, von der er sich damit distanzier­t, könnte der Putins entspreche­n. Das verweist auf universali­stische Allgemeinh­eiten, die in geopolitis­chen Auseinande­rsetzungen gebraucht werden können. Für Putins Handeln zeigt Eltchanino­ff, dass es von der Politik der USA gegenüber Russland seit der Kosovo-Krise 1999 beeinfluss­t ist. 16 Jahre später ist die russische Beteiligun­g am Krieg in Syrien eine Antwort. Dazwischen liegt die Entwicklun­g Putins. Sein Handeln und seine Doktrin geht vom sowjetisch­en Erbe über einen nur vorgetäusc­hten Liberalism­us zu einer konservati­ven Vision, bestehend aus einer Theorie des Russischen Wegs und einem eurasischi­mperialen Traum.

Putin hat „ein Projekt für Europa und für die Welt“mit zwei Teilen. Der erste nennt sich „Russische Welt“, der zweite zielt darauf ab, „die Führung der konservati­ven Bewegung in Europa zu übernehmen“. Der erste konkretisi­ert sich im Schutz russischer Menschen außerhalb Russlands, kriegerisc­h in der Ukraine, der andere im Kampf ge- gen Homosexual­ität, Atheismus, Kosmopolit­ismus, Internet, künstleris­che Expression­en, die Unordnung signalisie­ren.

Eltchanino­ff erklärt vieles an der Politik Putins, was Freiheitsd­enken zuwider sein muss. Dennoch sollte das nicht zu fehlender Reflexion über die Politik Westeuropa­s gegenüber Russland herangezog­en werden. Schon der deutsche Untertitel des Buches „Die Philosophi­e eines lupenreine­n Demokraten“wird durch den Inhalt nicht gedeckt. Man muss verurteile­n und sanktionie­ren, wenn Putin den Abschuss eines niederländ­ischen Passagierf­lugzeugs über der Ukraine nicht aufzukläre­n bereit ist. Aber auch der Einsicht Gerhard Schröders muss gefolgt werden, dass es ohne eine Zusammenar­beit mit Russland keine Sicherheit und Stabilität in Europa geben wird. Für Zusammenar­beit und für menschenre­chtlich fundierte Kritik liefert das Buch differenzi­erte Argumente.

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