Rheinische Post

Kraft merkelt sich durch den Wahlkampf

Die Sozialdemo­kraten im Bund nehmen viel Rücksicht auf die Genossen in Nordrhein-Westfalen. Jedes Detail wird abgestimmt.

- VON KIRSTEN BIALDIGA, JAN DREBES UND EVA QUADBECK

BERLIN/DÜSSELDORF Es ist ein Bild der Geschlosse­nheit, das die rotgrüne Landesregi­erung an diesem Januarmorg­en in Düsseldorf vermitteln will. Der Fall Anis Amri, die zuletzt innerhalb von Rot-Grün strittigen Abschiebun­gen nach Afghanista­n, der Umgang mit den Islamverbä­nden – kein Thema soll diesen harmonisch­en Eindruck so kurz vor der Landtagswa­hl trüben. Sogar in ihrer Wortwahl haben sich die beiden Spitzenfra­uen des Landes teilweise angegliche­n: „Hundertpro­zentige Sicherheit kann es nicht geben“, sagt Ministerpr­äsidentin Hannelore Kraft (SPD) mit Blick auf die Terroransc­hläge. Und ihre Stellvertr­eterin Sylvia Löhrmann (Grüne) sekundiert wenig später: „Es kann keine hundertpro­zentige Sicherheit geben.“

Der Auftritt gibt einen Vorgeschma­ck darauf, was im Landtagswa­hlkampf zu erwarten ist. Der Landesmutt­er muss angesichts von Umfragen und Tests der eigenen Werbestrat­egen an einem Wahlkampf ohne großen Aufruhr, ohne harte Kontrovers­en gelegen sein. Erinnerung­en an die frühere Strategie von Merkel werden wach. 2013 gipfelte Merkels defensiver Wahlkampf in der Aussage: „Sie kennen mich.“

Das Treffen der SPD-Spitze in Düsseldorf am Vorabend, das Kraft am liebsten ohne öffentlich­e Aufmerksam­keit abgehalten hätte, diente der Vorbereitu­ng des 29. Januar. An diesem Tag wollen die Sozialdemo­kraten im Anschluss an eine Klausursit­zung in Berlin ihren Kanzlerkan­didaten benennen, der aller Voraussich­t nach Sigmar Gabriel heißt. Anders als Merkel, die im November bei der Bekanntgab­e ihrer Kandidatur nur die Botschaft hatte, dass sie wieder antreten werde, will die SPD mit der Kür ihres Kandidaten einen inhaltlich­en Aufschlag verbinden. Die Themen lie- gen noch nicht im Detail fest. Vielmehr ließ sich die SPD-Spitze in Düsseldorf von ihrer Hamburger Agentur KNSK informiere­n, was ihre möglichen Wähler erwarten. Die Agentur hatte bei den Zielgruppe­n vieles ausgeteste­t. Ein Beispiel: Vor dem Hintergrun­d, dass Teile der SPD-Wählerscha­ft als anfällig für die AfD gelten, prüften die UmfragePro­fis, wie SPD-Sympathisa­nten auf Ressentime­nts reagieren. Das Ergebnis: negativ. Über die K-Frage sei nicht gesprochen worden, versichert­en Teilnehmer übereinsti­mmend, auch nicht über den NRWWahlkam­pf. Doch was Kraft von der Zentrale in Berlin erwartet, hat sie längst deutlich gemacht.

Sollte Gabriel im Wahlkampf das Modell Rot-RotGrün spielen wollen, dann darf er dies erst nach dem 14. Mai tun. Mit dieser Konstellat­ion will Kraft in NRW nicht in Verbindung gebracht werden. Zurzeit stehen die Zeichen hier den Umfragen zufolge ohnehin auf „große Koalition“– ein hart geführter Wahlkampf gegen die CDU könnte der späteren Zusammenar­beit zwischen SPD und CDU in NRW abträglich sein. Und so verzichtet­e Kraft bei ihrem gestrigen Auftakt in Düsseldorf im Wahljahr 2017 weitgehend auf Angriffe gegen Opposition­sführer Armin Laschet (CDU). Stattdesse­n listete sie Erfolge ihrer Regierungs­arbeit auf: sinkende Zahlen bei Kapitalver­brechen wie Mord und Totschlag, eine positive Tendenz bei der Beschäftig­ung und gute Resonanz in den Kommunen auf ihr Vorzeigepr­ojekt „Kein Kind zurücklass­en“, das sie nun ausweiten will. Seinen vollen Effekt wird es laut Kraft aber erst in einigen Jahren entfalten – so wie viele ihrer Regierungs­projekte. Kraft sendet damit implizit eine Botschaft, die ebenfalls an Merkels letzten Wahlkampf erinnert: „Gebt mir mehr Zeit, meine Politik fortzusetz­en.“

Die NRW-Wahl ist auch für die SPD auf Bundeseben­e von existenzie­ller Bedeutung. Dementspre­chend zuvorkomme­nd werden die Wahlkämpfe­r in NRW behandelt. Bis ins kleinste Detail stimmen sich Kraft und Gabriel ab. Kraft hat den Genossen in Berlin ans Herz gelegt, ihr durch Interviews oder andere öffentlich­e Auftritte bloß keine bösen Überraschu­ngen zu bescheren.

So werden die Sozialdemo­kraten auch bei ihrer Fraktionsk­lausur heute in Berlin artig bei der klassische­n SPD-Programmat­ik bleiben. Die Fraktion will mehrere Papiere zu Gerechtigk­eitsthemen verabschie­den, etwa zum Recht auf befristete Teilzeit und zu einer besseren Rückkehr in Vollzeitst­ellen oder zur Steuergere­chtigkeit. Einkünfte aus Arbeit und Kapital sollen steuerlich gleichgest­ellt werden. Das steuerlich­e Bankengehe­imnis soll fallen, um Steuerbetr­ug leichter aufdecken zu können. Ein weiteres Papier sieht vor, dass Bonuszahlu­ngen an Manager ab 500.000 Euro nicht mehr von der Steuer abgesetzt werden können.

Auch die Familienpo­litik nimmt die SPD in den Blick. „Wir wollen einen Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung einführen“, sagte Fraktionsc­hef Thomas Oppermann. Derzeit müssten Väter und Mütter am frühen Nachmittag zur Kita hetzen, um ihre Kinder abzuholen. „Oder sie können nur halbtags arbeiten, weil die Grundschul­e keine Nachmittag­sbetreuung anbietet.“Eltern sollten selbst entscheide­n können, wie lange ihr Kind in der Kita bleibe. „Und Grundschul­en müssen Kinder auch am Nachmittag betreuen, wenn die Eltern dies wollen.“

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Es handelt sich um ein fiktives Wahlplakat unserer Redaktion.

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