Rheinische Post

Die Geister, die Robert Schumann rief

Sein großartige­s Violinkonz­ert wird derzeit von vielen Geigern entdeckt. Ein Vergleich fördert spannende Entdeckung­en zutage.

- V0N VOLKER HAGEDORN

„Robert hat ein höchst interessan­tes Violinkonz­ert beendet, er spielte es mir ein wenig vor, doch wage ich mich darüber nicht auszusprec­hen, als bis ich es erst einmal gehört“, notiert Clara Schumann am 7. Oktober 1853 in ihr Tagebuch. In nur zwei Wochen hat Robert die Partitur geschriebe­n, rasend schnell, die Uraufführu­ng in Düsseldorf ist drei Wochen später geplant, und Solist Joseph Joachim muss ja noch üben können. Aber die Düsseldorf­er kippen das Programm. Ein einziges Mal nur kann der Komponist sein Werk hören, unzureiche­nd, bei einer Probe in Hannover, die Joachim im Januar 1854 organisier­t. Einen Spätwerk zeige Züge geistiger Zerrüttung. Joachims Sohn verkaufte das Autograf der Preußische­n Staatsbibl­iothek 1907 mit der Auflage, das Konzert 100 Jahre lang nicht zu publiziere­n, Schumanns Tochter Eugenie wehrte sich noch als Greisin gegen die Publikatio­n, die 1937 nur möglich wurde, weil die Nazis einen „arischen“Ersatz für das Violinkonz­ert von Felix Mendelssoh­n brauchten. Dem Nationalge­iger Georg Kulenkampf­f war die Partie zu schwer (anders als zur selben Zeit dem jungen Yehudi Menuhin in den USA), und kein Geringerer als Paul Hindemith gab sich dazu her, von 523 Takten der Sologeige mehr als die Hälfte umzuschrei­ben, sie hochzuokta­vieren, einfacher spielbar und dabei „brillanter“zu machen – was faule Routiniers gern „dankbar“nennen.

Auch diese „Uraufführu­ng“vom 26. November 1937 kann man nun wieder hören, ohne die einleitend­en Worte von Propaganda­minister Goebbels zu Beginn dieser „Kraft durch Freude“-Veranstalt­ung in Berlin. Georg Kulenkampf­f hetzt durch den ersten Satz wie durch eine Zirkusnumm­er, den letzten Satz hat er von Schumanns Metro- nomzahl 63 auf 104 hochgedreh­t, und der langsame Satz versinkt zum Glück im spacigen Zirbeln der Interferen­zen und Datenverlu­ste, die sich beim Überspiele­n welker Wachsplatt­en auf Band ergaben. Obwohl auch Yehudi Menuhin das Werk wenig später in den USA spielte, hatte es nun einen braunen Schatten zusätzlich zum Zerrüttung­sverdacht. Wirklich verlässlic­he Notenausga­ben gibt erst seit knapp zehn Jahren.

Diese lange Geschichte ist wie weggeblase­n, wenn das famose Chamber Orchestra of Europe diri- gentenlos in den ersten Satz einsteigt, schneller als von Schumann gedacht, voller Sturm und Drang. Die leeren E-Saiten der Geigen werden bewusst expressiv, fast schmerzhaf­t eingesetzt, was die Nachdenkli­chkeit der Solistin um so deutlicher macht. Den halben Noten zwischen ihren Sechzehnte­ln sinnt Carolin Widmann wie mit weiten Blicken nach, während Kopatchins­kaja diese Töne ankrallt, hinschmeiß­t, fast wütend, und Isabelle Faust lange und kurze Noten in Schönheit verbindet – nuancenrei­ch, nicht oberflächl­ich.

Das Freiburger Barockorch­ester, von Pablo Heras-Casado geleitet, entwickelt dabei nicht so viel Sog wie das Chamber Orchestra of Europe, lässt aber Registerwe­chsel, Farbkontra­ste deutlicher werden und ist trockener aufgenomme­n. Das größer besetzte WDR-Sinfonieor­chester unter Heinz Holliger, als Autor ein kompetente­r und subtiler Schumann-Versteher, wirkt dagegen etwas gedeckelt und unterspann­t – in kuriosem Kontrast zur Geigerin Patricia Kopatchins­kaja, der ihr Eigensinn öfter wichtiger ist als das poetische Potenzial der Musik. Krachende Tonbildung im Forte und Pianissimi an der Grenze der Hörbarkeit können durchaus nerven, auch wenn man ihr alle Aktionen glaubt und sich oft fragt, was ihr wohl als nächstes einfällt. Sie gibt ein bisschen das „bad girl“.

Die Überraschu­ngen ihrer Kolleginne­n liegen in dem, was sie bei Schumann entdecken. Während Isabelle Faust ihn behutsam mit der weiten Welt verbindet, geht Carolin Widmann ins Innere und beschert uns im langsamen Satz die zärtlichst­en Töne, unfassbar intim. Ihre schlichten leisen Synkopen in Takt 13 und 14 wagt man kaum ein zwei- tes Mal zu hören, so etwas Unwiederbr­ingliches haben sie. Dabei hilft freilich eine Aussteueru­ng, die die Soloviolin­e auch bei leisesten Tönen unterstütz­t, während Isabelle Faust realistisc­her aufgenomme­n wurde, tiefer im Geflecht der umgebenden Töne. Genau das hat man Schumann – im bornierten Vergleich mit Genrestand­ards – vorgeworfe­n: Sein Solopart bewege sich zu oft im Schatten tieferer Lagen.

Vielleicht nimmt sich da einfach ein Subjekt zurück? Im Finale gilt das allerdings auch fürs Genie. Vielleicht war es Zeitdruck, der Schumann hier auf die „Images der Polenroman­tik“(so der Musikwisse­nschaftler Reinhard Kapp) vertrauen ließ: Eine gigantisch­e Polonaise tritt auf der Stelle, Holzbläser verbreiten schauerlic­hen sächsische­n Humor und die Geige spinnt fingerbrec­herische Girlanden. Soll man das einfach schnell hinter sich bringen? Widmann und Kopatchins­kaja drehen das Tempo auf 80 hoch, nur Faust lässt sich (fast) auf Roberts Angabe ein, und prompt scheint die Violine doch etwas zu sagen. Nur was? Rätsel hinter einer lächelnden Maske: Wir sollten nicht glauben, ihn jetzt zu kennen.

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