Rheinische Post

Irre Liebe vor düsterer Kulisse

Starkes Paar: Adèle Haenel und Lars Eidinger in „Die Blumen von gestern“.

- VON DOROTHEE KRINGS

Zazie ist unberechen­bar. Die junge Frau aus Frankreich soll in einem muffigen deutschen Archiv als Holocaust-Forscherin assistiere­n, doch weigert sie sich gleich am Flughafen, in einen deutschen Geländewag­en zu steigen. In einem solchen Modell habe man ihre Großmutter vergast, lässt sie wissen und rauscht per Anhalter davon. Dabei hat es der junge Forscher, Totila Blumen, eh schon schwer genug. Spürt er die ganze Last der deutschen Vergangenh­eit doch auf den eigenen Schultern. So ist alle Leichtigke­it aus seinem Leben gewichen. Stattdesse­n: Ernst, Schwermut, Selbsthass. Doch die Praktikant­in aus Paris kontert den Zynismus ihres neuen Chefs durch unerschroc­kene Direktheit und lebt die eigenen Stimmungss­chwankunge­n ungefilter­t aus. Zwei explosive Charaktere, extreme Gegensätze – natürlich geht es bald um Liebe.

Mit seinem neuen Film „Die Blumen von Gestern“wagt Chris Kraus eine ungewöhnli­che Verquickun­g: An einem nicht gerade erotischen Ort, vor düsterem historisch­en Hintergrun­d zettelt er mit viel Dialogwitz eine exaltierte Liebesgesc­hichte an. Das ist riskant, spannungsr­eich – geht aber nur in Teilen auf.

Der Film hat großartige Momente, immer dann, wenn die beiden Hauptdarst­eller sich aus der allzu konstruier­ten Geschichte befreien und wie irre aufeinande­r losgehen. Die Französin Adèle Haenel ist um- werfend als manische Zazie, die zwischen euphorisch­er Ausgelasse­nheit und tief depressive­n Phasen schwankt. Sie verkörpert die Nachfahrin einer jüdischen Familie, und obwohl inzwischen so viele Jahre vergangen sind, kann sie natürlich keinen Schlussstr­ich ziehen, sondern wird eingeholt vom Leid, das ihrer Familie widerfuhr. Totila dagegen ist Spross einer Täterfamil­ie, sein Großvater war bei der SS, und so wird auch er mit der Vergangenh­eit nicht fertig, versucht, Schuldgefü­hle durch wissenscha­ftliche Akribie wettzumach­en, und straft sich, indem er sich keinen Spaß im Leben gönnt. Lars Eidinger spielt das mit ehrlicher Besessenhe­it, trotzig, überheblic­h, selbstzers­törerisch. Wie diese beiden sich doch füreinande­r öffnen, Gefallen finden an der Störrigkei­t des anderen, das ist beeindruck­end anzusehen.

Doch zugleich wirkt alles unecht in diesem Film, tauchen vor allem in Totilas Leben holzschnit­tartige Nebenfigur­en auf, die selbst eine Hannah Herzsprung nicht mehr zum Leben erwecken kann. Chris Kraus gehört zu den deutschen Regisseure­n, die beharrlich ihren Ideen folgen. So hat er eindringli­che Filme wie „Vier Minuten“und „Poll“geschaffen. Auch „Die Blumen von gestern“wirken lange nach, aber wegen der Darsteller, nicht wegen der Geschichte.

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FOTO: DPA Lars Eidinger und Adéle Haenel in „Die Blumen von gestern“.

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