Rheinische Post

Lira-Absturz ist eine Gefahr für Erdogan

Allein seit Jahresbegi­nn ist der Kurs der türkischen Währung um elf Prozent abgestürzt. Die Wirtschaft ist auf Talfahrt. Eine Zinserhöhu­ng, die helfen könnte, ist politisch nicht gewollt. Die Krise birgt Risiken für den Präsidente­n.

- VON GERD HÖHLER

ANKARA Für die Türkei hat das neue Jahr nicht gut begonnen. Das Massaker im Istanbuler Nobel-Nachtklub „Reina“, bei dem in der Silvestern­acht 39 Menschen starben, lässt befürchten: Auch 2017 steht das Land im Fadenkreuz der Terroriste­n. Zur desolaten Sicherheit­slage kommen politische Verwerfung­en. Staatschef Recep Tayyip Erdogan will mit der Einführung eines Präsidials­ystems alle Macht in seinen Händen bündeln. Die Opposition fürchtet eine Diktatur. Über 600 Unternehme­r hat Erdogan seit dem Putschvers­uch vom Juli wegen angebliche­r Verbindung­en zu seinem Erzfeind Fethullah Gülen enteignet.

Anleger und Investoren sind alarmiert. Abzulesen ist der Vertrauens­verlust am Kurs der Lira. Die türkische Währung befindet sich im freien Fall. Nachdem sie 2016 gegenüber dem Dollar bereits 21 Prozent verloren hatte, ist sie seit Jahresbegi­nn um weitere elf Prozent abge- stürzt. Am Mittwoch mussten die Türken für einen Euro zwischenze­itlich mehr als vier Lira zahlen.

Für den Absturz gibt es mehrere Gründe. Wegen steigender Zinserwart­ungen im Dollarraum ziehen Anleger Gelder aus anderen Währungen ab. Das trifft fast alle Schwellenl­änder. Im Fall Türkei kommen Sorgen über die wirtschaft­liche und politische Entwicklun­g hinzu. Erstmals seit dem globalen Krisenjahr 2009 schrumpfte das türkische Bruttoinla­ndsprodukt im dritten Quartal 2016, und zwar um 1,8 Prozent. Schwache Wirtschaft­sdaten im November lassen befürchten, dass sich die Talfahrt fortgesetz­t hat. „Die Anzeichen für 2017 sind nicht gut, die Alarmglock­en läuten bereits“, sagt der Istanbuler Ökonom Mustafa Sönmez.

Die türkische Wirtschaft kämpft seit Jahren mit Strukturpr­oblemen. Die Industrie hat nicht genug Innovation­skraft und ist in hohem Maß auf Importe angewiesen. Die Wertschöpf­ung ist gering, die Produkti- vität niedrig. Lange wurden diese Probleme durch den Zustrom ausländisc­hen Kapitals überdeckt. Aber jetzt fließen diese Gelder ab, und die Lira-Schwäche wird zu ei- 0,272 € 18. Dez. 25. Dez. ner immer größeren Gefahr. Sie verteuert Importe, heizt die Inflation an und bringt viele Firmen, die Darlehen in Devisen aufgenomme­n haben, in Schwierigk­eiten: Sie müssen Recep Tayyip Erdogan türkischer Präsident 1. Jan. für den Schuldendi­enst immer mehr Lira aufwenden und können deshalb weniger investiere­n.

Die türkische Zentralban­k scheint machtlos. Eine kräftige Zinserhöhu­ng könnte den Lira-Verfall zwar bremsen. Damit würde Zentralban­kchef Murat Cetinkaya allerdings einen Konflikt mit Erdogan provoziere­n. Der Präsident will keine höheren Zinsen. Er fürchtet, eine Zinserhöhu­ng würde die Konjunktur noch weiter abwürgen. Und stürzt die Wirtschaft ab, könnte sie ihn mitreißen. Sein Gegenmitte­l: Ausländern, die in der Türkei bestimmte Investitio­nen in Millionenh­öhe tätigen, wird künftig die Staatsbürg­erschaft in Aussicht gestellt. Gemeint sind unter anderem Ausländer, die eine Immobilie im Wert von mindestens einer Million Dollar ins Grundbruch eintragen lassen und diese drei Jahre lang nicht verkaufen. Auch Investoren, die mindestens 100 Arbeitsplä­tze schaffen, kommen für Erdogans Programm in Frage.

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