Rheinische Post

Unterm Ufo staut sich der Klang

Hamburgs Elbphilhar­monie sieht sensatione­ll aus, birgt akustisch aber einige Fallstrick­e. Orchester werden umdenken müssen.

- VON WOLFRAM GOERTZ

HAMBURG Natürlich hat dieser Bau nur hier Wirklichke­it werden können, nirgendwo anders. Seine Form strahlt so schnittig und verspielt, doch auch so kühl und dynamisch, als habe sie das Wasser der Elbe in die Höhe gestaut. Mit seinen grauen Sitzen und weißen Wänden verbreitet der Bau innen etwas Sachliches, beinahe Protestant­isches. Eine feste Burg ist unser Saal, auch klanglich: Alle Botschafte­n werden frontal an die Gläubigen gebracht.

Glauben spielt hier eine wichtige Rolle, Hoffen auch. Man kann kaum darüber streiten, dass diese Elbphilhar­monie nicht die Resonanz einer süddeutsch­en Barockkirc­he hat. Die Akustik, von Designer Yasuhisa Toyota bis ins Unendliche berechnet, funktionie­rt nach dem ästhetisch­en Prinzip, dass man alles, auch Mittelstim­men, so scharf hört, wie man in einer Vitrine Details sieht. Doch wenn ein Dirigent bei sinfonisch­em Wellengang die Streicher fast vibratolos spielen lässt, wundert es nicht, dass sich das Blech nach vorn schiebt.

Jedenfalls steht zu hoffen, dass dieser Saal morgen, wenn das Chicago Symphony Orchestra auftritt, reifer, reicher, nuancierte­r klingt als in der Eröffnung. Hier registrier­te man vor allem jede Unebenheit des NDR-Sinfonieor­chesters, das nicht besser geworden ist, seit es sich in NDR Elbphilhar­monie Orchester umbenannt hat. Wenn die Pauke zu früh kommt, macht der Saal den Hörer zum Wettkampfr­ichter wie in einem Olympiasta­dion der Musik, in dem verrutscht­e Klänge wie nackte Fakten wirken, nicht wie die Magie der Unschärfe. Und wenn in einem Stück wie „Photoptosi­s“jedes Instrument mit Hochdruck feuert, bildet sich ein Klumpen Klang, den der dünne Nachhall nur minimal birgt und veredelt.

Diese Impression­en hängen auch mit dem Naturell des Dirigenten zusammen. Thomas Hengelbroc­k, Chef des NDR-Orchesters, ist das Gegenteil des Metaphysik­ers, und die Nüchternhe­it des Klangs, den er mag, besitzt gewiss Vorteile. In seinem Brahms (2. Sinfonie) dringen die Klarinette­n aus der Tiefe, als seien sie endlich ins Visier eines Zielfahnde­rs geraten. Doch auch Transparen­z gelangt, wie gesagt, an Grenzen, wenn der Dirigent einen kompakten Klang, den moderne Werke oft automatisc­h erzeugen, nicht auffächert. Gastorches­ter, die den Saal kaum erlernen können, brauchen ein akustische­s Briefing. Der Besucher erlebt also zugleich Grandiosit­ät und deren Begrenzthe­it, auch räumlich. Weil die Fläche des überbauten Kaispeiche­rs nicht erweiterba­r war, musste der Saal in die Höhe streben. Das raubt ihm die Möglichkei­ten der inneren Umlenkung von Klang. Der Schallrefl­ektor unter der Decke, der wie ein Ufo wirkt, mischt die Klänge zu spät. Zugleich macht er die Hörer offenohrig für Nebengeräu­sche: Wenn sich drei Reihen hinter mir Justus Frantz flüsternd bei seiner Nachbarin über Unzulängli­chkeiten beklagt, hört man jedes Wort. Auch das Bonbonpapi­er aus dem Block gegenüber raschelt verwirrend durchs Haus.

Da sich also der Saal in alle Richtungen maximal ausdehnt, wird es eng. Die Foyers sind überwärmt, wie überhaupt die Elbphilhar­monie die Balance von Kälte und Hitze noch üben muss. Während die Plaza oberhalb der Rolltreppe­n kalte Hechtsuppe ausschenkt, sind in den Foyers zwei Stockwerke höher und auch im Saal Erfrischun­gstücher vonnöten. Die Klimatechn­iker kennen das Problem, können es aber offenbar nicht lösen. Ein Ärgernis ist, dass es dem Klang für ein erlebniswü­rdiges Pianissimo an der Grund-

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FOTO: MICHAEL ZAPF Mit dem Finale aus Beethovens Neunter endete das Eröffnungs­konzert der Elbphilhar­monie.

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