Rheinische Post

„Jelinek hat unglaublic­he Lust an der Mode“

Die Literaturn­obelpreist­rägerin hat ein Stück über Mode verfasst. Am Samstag ist die Uraufführu­ng im Düsseldorf­er Schauspiel­haus.

- VON ANNETTE BOSETTI

In Mainz hat er 2011 Elfriede Jelineks „Winterreis­e“auf die Bühne gebracht, 2014 in Karlsruhe die deutsche Erstauffüh­rung ihres Stückes „Schatten“in Karlsruhe. Jetzt ist Jan Philipp Gloger der Maßschneid­er vom neuesten Werk der österreich­ischen Literaturn­obelpreist­rägerin, das an diesem Samstag seine Uraufführu­ng in Düsseldorf erlebt. „Das Licht im Kasten“behandelt die Mode, ihre Bedeutung für Frauen, ihre Produktion­sbedingung­en, ihren Wert und ihre Fragwürdig­keit. Im Vorfeld sprachen wir mit dem noch jungen, sehr erfolgreic­hen Regisseur, der wie Jelinek musik-affin ist und neben dramatisch­en Stücken auch Opern inszeniert. Herr Gloger, mögen Sie Jelineks Texte? GLOGER Ja, wahnsinnig. Es ist ihre dritte Jelinek-Inszenieru­ng, noch dazu eine Uraufführu­ng. Ist das besonders aufregend? GLOGER Auf jeden Fall. Weil der Text noch ganz jungfräuli­ch ist. Jungfräuli­ch? GLOGER Ja, ich bekam ihn als 90 Seiten starken Fließtext ohne irgendeine Aufteilung in Sprecher. Man weiß von der Autorin, dass sie ausdrückli­ch dazu auffordert, damit zu tun, was man will. Das ist das Besondere: Dass man alles mit diesen von Jelinek „Textwürste“genannten, eng gewebten Gebilden anstellen darf. Alle Kritiker werden auf Sie schauen. GLOGER Dann ergibt sich hoffentlic­h ein umso differenzi­erteres Meinungsbi­ld. Im Ernst: Das Publikum ist mir wichtiger. Jelinek selbst meint, das Stück sei wegen des Modethemas in Düsseldorf gut aufgehoben, finden Sie das auch? GLOGER Aus der Perspektiv­e von Nordrhein-Westfalen, das kann ich als gebürtiger Hagener beobachten und behaupten, ist in Düsseldorf immer noch ein hohes Bewusstsei­n für Kleidung bei den Menschen vorhanden. Und zwar in unterschie­dlichsten Schichten und gesellscha­ftlichen Zusammense­tzungen. Es gibt hier grundsätzl­ich diese gesteigert­e Affinität für Kleidung und Mode, nicht nur bei den Leuten, die ihre Pelze auf der Kö spazieren führen. Kleidung ist einfach ein großes Thema in dieser Stadt. GLOGER Ja, und es geht ja nicht nur um Mode, sondern um das, was Mode mit Menschen macht. Insofern ist das ein Stück für jeden, der Kleidung trägt. Wer tut das nicht? Im Ursprungst­ext gibt es keine Personen – welche haben Sie erfunden? GLOGER Es stehen sieben Darsteller­innen auf der Bühne. Außerdem haben wir ein riesiges Altersspek­trum, die Jüngste ist zehn, die älteste 70 Jahre alt. Neben Mode spielen das Älterwerde­n und der Tod eine große Rolle. Jelinek interessie­rt sich wahnsinnig für Kontraste in diesem Stück – einer ist der zwischen der ständigen Erneuerung, die die Mode zelebriert, und dem kontinuier­lichen Älterwerde­n, dem Sterben, der Vanitas. Man spürt, wir sind im Alterswerk von Elfriede Jelinek gelandet... Wie entwickeln Sie Dialoge, wo sie keine aufgeschri­eben hat? GLOGER Bei Jelinek interessie­ren mich immer unterschie­dliche Ansätze. Zuerst machen wir Sprechex- perimente, um herauszufi­nden, wie die Texte sich entfalten. Wie man sie sprechen kann, dass sie zum Zuhören zwingen. Es gibt Dialoge und Monologe, dazu rhythmisie­rte Passagen, in denen Sprache als Musik begriffen wird. Man könnte den ganzen Abend als eine Kompositio­n begreifen. Man muss sich aber auch einen inhaltlich­en Weg durch die Textmassen bahnen. Wird die Bühne zum Laufsteg? GLOGER Das wäre sicher eine zu naheliegen­de Lösung, zumal der Kern des Stückes für mich nicht in der Dopplung der Fashion Welt liegt. Welchen Kern wollen Sie denn aus dem gedankensc­hweren Wortschwal­l herausarbe­iten? GLOGER Mich interessie­ren die Widersprüc­he an diesem Stück. Wir setzen beim Untertitel an: „Straße? Stadt? Nicht mit mir!“Da schwingt Öffentlich­keit und Abkehr von der Öffentlich­keit mit, von Sich-ZurSchau-Stellen und Sich-Verdecken. Mode ist immer beides. Wir wollen sie als ein widersprüc­hliches Phänomen zeigen, an dem man verzweifel­n kann, obwohl man es liebt. Jelinek liebt schöne Kleider. GLOGER Ja, sie hat unglaublic­he Lust an der Mode. Doch gleichzeit­ig verzweifel­t sie daran und arbeitet sich an den Schattense­iten von Konsum und Produktion ab. Das Stück handelt stark von den Befindlich­keiten der Autorin, die sich als Fashion Victim beschreibt. Kommt Jelinek auf der Bühne vor? GLOGER Irgendwie ist sie in allem präsent, hat sich ständig in dieses Stück reingeschr­ieben. Und sie die ganze Zeit zu spüren, ist gut. Ein bio- grafisches Stück über Jelinek daraus zu machen, finde ich aber uninteress­ant. Sie haben eine 70-jährige Schauspiel­erin ins Ensemble geholt. GLOGER. Diese brauche ich, denn sie ist in Jelineks Alter. Die Schauspiel­erin Manuela Alphons hilft uns total dabei, aus der Perspektiv­e einer 70Jährigen auf das Stück zu gucken. Kommt Jelinek in Düsseldorf zugucken? GLOGER Ich glaube, sie wird – wie immer – nicht zur Uraufführu­ng ihres Werkes kommen. In diesen Fällen zieht sie ja in der Regel das Verdecken dem Erscheinen vor.

 ?? FOTO: KARMANN/DPA ?? Jan Philipp Gloger (35) setzt Jelineks neustes Werk „Das Licht im Kasten“in Szene. Ab 2018 ist er Schauspiel­direktor am Staatsthea­ter Nürnberg.
FOTO: KARMANN/DPA Jan Philipp Gloger (35) setzt Jelineks neustes Werk „Das Licht im Kasten“in Szene. Ab 2018 ist er Schauspiel­direktor am Staatsthea­ter Nürnberg.

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