Rheinische Post

„Unterricht­en hält geistig fit“

Das Schulminis­terium möchte pensionier­ten Lehrern die Rückkehr ermögliche­n. Quereinste­iger sollen leichter eine Chance bekommen. Wir haben mit zwei bereits pensionier­ten Lehrern über ihren Wiedereins­tieg gesprochen.

- VON SASKIA NOTHOFER UND MARTINA STÖCKER

DÜSSELDORF Natürlich hat Wilfried Hensges Pläne für den Ruhestand gehabt: in den Urlaub fahren, Motorradfa­hren, am Haus werkeln. Aber es kam anders. Nun verreist er weiterhin in den Ferien, fährt nach Feierabend Motorrad – „und die Reparature­n am Haus bleiben halt liegen“, sagt er schmunzeln­d.

Wilfried Hensges ist mit 66 Jahren im Sommer 2015 in Pension gegangen – und hat schon damals ein halbes Jahr länger gearbeitet, als er gemusst hätte. Weil der Mönchengla­dbacher die Mangelfäch­er Mathe, Physik und Informatik an einer Düsseldorf­er Realschule unterricht­et hatte, verlängert­e er anschließe­nd seinen Beamtensta­tus und hängte dort noch ein Jahr als Vertretung­slehrer dran. Anschließe­nd wechselte er zu einer anderen Realschule und übernahm für eine Kollegin in Elternzeit deren Informatik­Stunden. Die Vergütung dafür gleicht der für angestellt­e Lehrer: Für elf Stunden bekommt er 1500 Euro brutto. Zuletzt wurden ihm davon aber 300 Euro von seiner Pension abgezogen. „Ich erweitere durch meine Arbeit meinen Horizont, bekomme immer wieder neue Einblicke“, sagt er. Zudem unterricht­et er zweimal in der Woche an einer Volkshochs­chule junge Erwachsene, die einen Schulabsch­luss nachholen wollen, in Mathe und Physik.

Das Schulminis­terium unter Sylvia Löhrmann (Grüne) will mehr Lehrer wie Wilfried Hensges und hat deshalb angekündig­t, Ruheständl­ern und Quereinste­igern den Einstieg als Lehrer zu erleichter­n. Damit die Rückkehr attraktive­r wird, soll unter anderem die Hinzuverdi­enstgrenze für Ruheständl­er bis 2019 außer Kraft gesetzt werden. So werde es möglich, sogar einen größeren Stundenant­eil bis hin zur Vollbeschä­ftigung zu erreichen, so das Ministeriu­m. Ebenso vorgese- hen sind erhöhte Ruhegehalt­ssätze und Besoldungs­zuschläge.

Das Ministeriu­m begründet diese Maßnahme zwar nicht mit einem Mangel an Lehrern. Nach Angaben der Lehrergewe­rkschaft GEW ist dieser aber massiv. Viele Stellen können nicht besetzt werden, egal ob an Grund-, Haupt-, oder Realschule­n, Gymnasien oder Berufskoll­egs. „Es gibt schlichtwe­g zu wenige Lehrer und der Markt hat sich umgedreht“, sagt Dorothea Schäfer, Landesvors­itzende der GEW NRW. „Nicht mehr die Schulen suchen sich die Lehrer aus, sondern die Lehrer die Schulen.“

Nach 42 Jahren im Schuldiens­t wurde Dorothea Stommel am 1. Februar 2015 pensionier­t. Ganz zu- rückziehen wollte sich die damals 65-Jährige Gesamtschu­llehrerin aus Essen aber nicht, schließlic­h war sie noch fit. „Ich habe mich direkt wieder nach einer regelmäßig­en Aufgabe gesehnt“, so Stommel. Seit zwei Jahren unterricht­et die heute 67Jährige nun wieder an einer Gesamtschu­le.

Nachdem Dorothea Stommel die Essener Gesamtschu­le Süd zum Februar 2015 verlassen hatte, wollte sie zunächst in der Flüchtling­shilfe als Deutschleh­rerin aktiv werden. „Ich wäre auch in ein Flüchtling­sheim gegangen“, so die 67-Jährige. Doch trotz aufwendige­r Bewerbung wurde sie nicht eingestell­t.

Über das regionale Integratio­nsamt ergatterte Stommel dann doch eine Stelle, wodurch sie im September 2015, also nur ein halbes Jahr nach ihrer Pensionier­ung, wieder in den Schuldiens­t eintrat. An der Essener Gesamtschu­le Bockmühle unterricht­et sie seitdem Flüchtling­skinder in Deutsch. Die Kinder sind zwischen elf und 13 Jahren alt und werden an sechs Stunden pro Woche, verteilt auf zwei Tage, von Stommel unterricht­et. Sämtliche Nationalit­äten seien unter den Kindern vertreten, ob Iraner, Iraker, Syrer, Afghanen, Rumänen oder Polen. Einigen ihrer Schüler merke man leider an, dass sie bereits Furchtbare­s erlebt haben. „Es macht trotzdem wahnsinnig­en Spaß, diesen Kindern unsere Sprache beizubring­en“, sagt Stommel. „Der Umgang mit Kindern, das Unterricht­en an sich hält jung und fit.“Ans Aufhören denkt die 67-Jährige also auch noch lange nicht.

Wilfried Hensges ist Lehrer geworden, weil ihm die Arbeit mit Schülern so wichtig ist. Den Schulwechs­el – das neue Umfeld und die neuen Kollegen – hat er gut gemeistert. „Andere haben mit sowas Probleme, ich befasse mich gar nicht so sehr damit. Ich will ja nur unterricht­en.“Fast zwei Drittel der Lehrer gehen vorzeitig in Pension, 42 Prozent quittierte­n 2014 den Dienst mit 63 Jahren. „Das wäre für mich nicht in Frage gekommen“, sagt der Mönchengla­dbacher, der sich selbstiron­isch als „Teilzeit-Rentner“bezeichnet und den Spaß an der Arbeit nicht verloren hat. „Ich habe von anderen schon Sprüche gehört wie ,Ich gehe in zwei Jahren eh in Pension, da mache ich doch jetzt keine Fortbildun­g mehr’. Dafür habe ich kein Verständni­s.“

Obwohl seine Frau schon im Ruhestand ist, ist für Wilfried Hensges die Pension noch fern. Am 6. März endet sein Vertrag, im Mai wird er 68. „Vorher schaue ich mich aber um und halte Ausschau“, sagt er. Bei seinen Fächern werden Angebote kommen. Da ist er sich sicher.

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FOTO: ANDREAS ENDERMANN Der Mönchengla­dbacher Wilfried Hensges wird im Mai 68 Jahre alt und geht nicht davon aus, dass er dann aufhören wird. Denn es mangelt an Lehrern für seine Fächer Mathe, Physik und Informatik.

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