Rheinische Post

In Ägypten wächst die Unzufriede­nheit

Auf die sich dramatisch verschlech­ternde wirtschaft­liche Lage reagiert das Regime mit Repression und Durchhalte­parolen.

- VON BIRGIT SVENSSON

KAIRO Herr Ahmed gibt den Besuchern des Tahrir-Platzes im Herzen der ägyptische­n Hauptstadt Kairo eine Lektion in neuerer Geschichte. „Wissen Sie, was vor sechs Jahren hier los war?“, fragt der kleine untersetzt­e Ägypter die wenigen Touristen, die sich in diesen Tagen auf dem Platz einfinden. Im selben Atemzug gibt er die Antwort: „Es war der Anfang unserer Revolution, die die Regentscha­ft von Husni Mubarak nach 30 Jahren beendete.“Allerdings seien die Revolution­äre dann irregeleit­et worden, fügt der Herr in der beigefarbe­nen Jacke schnell hinzu. Die Muslimbrüd­er wollten eine islamische Republik errichten. „Sisi hat uns gerettet.“

Herr Ahmed sagt, er arbeite im Ägyptische­n Museum und hätte keinerlei geschäftli­che Interessen, um ausländisc­he Touristen anzusprech­en. Komisch nur, dass er ziemlich weit vom Museum entfernt steht, ganz am anderen Ende des TahrirPlat­zes, wo die Amerikanis­che Universitä­t ihr Hauptgebäu­de hat. Und komisch ist auch, dass noch weitere Männer auf dem Platz herumstehe­n, die alle ganz ähnliche Jacken wie Herr Ahmed tragen.

Am 25. Januar vor sechs Jahren gingen erstmals Hunderttau­sende geleitet wurde, sagte Staatspräs­ident Abdel Fattah al Sisi in seiner Rede zum Gedenktag und klingt dabei wie Herr Ahmed. Besser kann man die Haltung der jetzigen Machthaber nicht ausdrücken.

„Wir hatten damals eigentlich nur die Wahl zwischen einer Militärdik­tatur oder einer Religionsd­iktatur“, analysiert Abdal Galil al Sharnoby die Situation. Der 42-Jährige ist Journalist und Mitarbeite­r am Ägyptische­n Zentrum für Recherche und Studien über religiöse Organisati­onen und Bewegungen. Das Zentrum ist ein regierungs­naher Think Tank, der mit Mitteln aus den Vereinigte­n Arabischen Emiraten ausgestatt­et wird, die von Anfang an kritisch gegenüber der ägyptische­n Revolution und dem Aufstieg der Muslimbrud­erschaft waren. Al Sharnoby ist für sie ein geschätzte­r Insider und hat eine Wende in seinem Leben vollzogen, die in Ägypten nicht unüblich ist: Euphorie und Jubel für den jeweiligen Machthaber haben Tradition am Nil.

Der Mann mit dem welligen schwarzen Haar war 23 Jahre lang Muslimbrud­er und ist im Verlauf der Revolution „konvertier­t“, wie er sagt. Noch bevor Mohammed Mursi zum Präsidente­n gewählt wurde, hatte er den Bruch vollzogen. „Ihre Ideen waren mir zu radikal, sie wollten nicht nur Ägypten zu ihrem Isla- mismus bekehren, sondern die ganze Welt.“Trotzdem, meint al Sharnoby, hätte die Revolution­sbewegung eine Chance gehabt, wenn sie nicht so zerstritte­n gewesen wäre. Stattdesse­n habe sie das Feld komplett den Muslimbrüd­ern überlassen, die dies schamlos für ihre Zwecke ausgenutzt hätten.

Der Friedensno­belpreistr­äger Mohammed al Baradei, der sich in den Revolution­stagen als Führungsfi­gur anbot, der eine Partei gründete und viel Zuspruch aus den Reihen der jungen Demonstran­ten bekam, wurde mit einer Schmutzkam­pagne überzogen, die bis jetzt anhält. Sein Rücktritt als Vize-Präsident, mit dem er auf das Blutbad reagierte, das die Armee unter den Anhängern des vom Militär gestürzten Moham- med Mursi angerichte­t hatte, wird ihm bis heute verübelt.

Nachdem Baradei unlängst in einem Fernsehint­erview auch noch ganz offen die aktuellen Missstände in Ägypten angeprange­rt hat, werden nun Stimmen lauter, die ihm sogar die ägyptische Staatsbürg­erschaft aberkennen wollen. Parlamenta­rier haben ein entspreche­ndes Gesuch an den Staatspräs­identen geschickt. Baradei hat schon vor drei Jahren Ägypten verlassen und lebt seitdem in Wien.

Die Missstände, die Baradei in dem Interview anspricht, sind aller- dings gravierend. Seit Anfang November ist die ägyptische Währung im freien Fall. Das Pfund hat seither 100 Prozent an Wert verloren. Die Inflation lag im Dezember bei 23,3 Prozent, so hoch wie noch nie, und die Arbeitslos­igkeit nimmt von Monat zu Monat zu. Jetzt liegt sie offiziell bei 17 Prozent.

Importware­n sind durch den hohen Dollarkurs kaum noch zu bezahlen. Die Regale in den Supermärkt­en werden leerer. Dabei ist Ägypten schon lange nicht mehr in der Lage, seine explodiere­nde Bevölkerun­g selbst zu ernähren und ist deshalb auf massive Lebensmitt­elImporte angewiesen. Es gibt kaum noch weißen Zucker, Babynahrun­g wird ebenfalls knapp, Medikament­e sind unerschwin­glich geworden.

Die Menschen tauschen sich aus, wo noch etwas zu kaufen ist und fahren oft kilometerw­eit, um das gesuchte Produkt zu erstehen. Besonders die Mittelschi­cht leide unter der Situation, sagt ein früheres Mitglied der Baradei-Partei. Sie hat sich inzwischen aufgelöst, da nicht nur ihr Gründer, sondern auch die Mitglieder der Partei massiv bedroht wurden. Der Kostendruc­k auf die Bevölkerun­g sei enorm, seit die Subvention­en für Strom, Wasser und Benzin zusammenge­strichen wurden. „Die Revolution ist für uns zum Alptraum geworden.“

Unterdesse­n klopft der Staatspräs­ident Durchhalte­parolen. Er wisse um die schwierige Lage vieler Menschen im Land, sagte al Sisi in seiner Rede zum Revolution­stag. Noch sechs Monate werde es dauern, bis es wieder aufwärts gehe, der Pfundkurs sich gegenüber dem Dollar einpendele und die Reformen Wirkung zeigten. Die gravierend­en Einschnitt­e sind Auflagen des Internatio­nalen Währungsfo­nds, der Ägypten einen Kredit über zwölf Milliarden Dollar auf drei Jahre gewährte, um einen Teil der enormen Staatsschu­lden zu tilgen und die Wirtschaft anzukurbel­n. Doch die erste Ratenzahlu­ng soll für Nahrungsmi­ttelimport­e verwendet worden sein, berichten verlässlic­he Quellen. Die Regierung fürchtet Brot-Unruhen, die schon einmal Anfang der 1980er Jahre erhebliche Turbulenze­n am Nil auslösten.

Spricht man mit den Menschen auf der Straße, die nicht zu Herrn Ahmeds Geheimdien­sttruppe am Tahrir-Platz zählen, so sind die Antworten gemischt. Einige meinen, dass die Reformen längst überfällig seien und eigentlich zu spät kämen. Andere glauben, dass die Regierung die Abwärtsspi­rale noch stoppen könne und Ägypten auf den richtigen Weg bringe. Roqaja aber glaubt gar nicht mehr an die Zukunft ihres Landes – und schon gar nicht an die Versprechu­ngen des Präsidente­n. Die 19-jährige Ägypterin sitzt in der Ecke eines traditione­llen Altstadtka­ffees unweit des Tahrir-Platzes und hat gerade ihr Abitur gemacht. „Studieren?“Ja, das würde sie gerne. „Aber was nützt es?“Sie bekäme ohnehin keinen Job, wie die meisten ihrer Altergenos­sen. Sie war 13 Jahre alt, als die Demonstran­ten den Sturz des Mubarak-Regimes forderten und viel Hoffnung in der Luft lag. Sie könne nicht erkennen, dass das alles etwas gebracht hätte, sagt sie resigniert. „Du hast im Moment nur zwei Möglichkei­ten in Ägypten: Entweder du fügst dich, oder du verlässt das Land.“Und genau das versuchen gerade immer mehr junge Ägypter auf der gefährlich­en Route über das Mittelmeer. Ziel: Europa.

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Ägyptens Präsident Abdel Fattah al Sisi (mit Sonnenbril­le), hier auf einer Feierstund­e zum „Tag der Polizei“, weiß um die wachsende Unzufriede­nheit in seinem Land.

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