Rheinische Post

Koch im besten Restaurant der Welt

Die Dokumentat­ion „Noma“porträtier­t das legendäre Lokal in Kopenhagen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Am Ende geht einem dieser Kerl so sehr auf den Senkel, dass man es gar nicht mehr schade findet, noch nie in seinem Restaurant gegessen zu haben. René Redzepi ist der 39 Jahre alte Küchenchef des legendären „Noma“in Kopenhagen. Das Lokal hat 45 Plätze und wurde vier Mal zum besten der Welt gewählt. In Zeitschrif­ten sah man dann diese irre angerichte­ten Teller, den Apfel auf Eis etwa, die lebenden Ameisen, die Blütentort­e, die mit Waldmeiste­r geräuchert­en Soleier und das frittierte Moos. Kunst für den Teller. Das Tolle am „Noma“, las man in den zugehörige­n, zumeist schwelgeri­schen Artikeln, sei seine strenge regionale Ausrichtun­g: Sie verarbeite­n dort nur, was man zur jeweiligen Jahreszeit in kleinem Umkreis ernten oder finden kann. Und weil es um Dänemark geht, sind das im Winter halt Knollen, Runkelrübe­n, Wurzeln und vergorenes Blut.

Regisseur Pierre Deschamps hat vier Jahre mit Redzepi und seiner Truppe gearbeitet. Der Zufall spielte ihm eine großartige Geschichte zu: Nachdem das 2003 gegründete Haus vom einflussre­ichen britischen Fachmagazi­n „Restaurant“drei Jahre in Folge zum besten Restaurant weltweit ernannt wurde, fingen sich Gäste das Noro-Virus ein – nicht mangelnde Hygiene war indes der Grund, sondern eine Muschel. Im Jahr darauf gelang dem „Noma“nach problemati­scher Zeit wundersame­rweise wieder der Sieg. Küchenchef Redzepi nutzte die Sensation, um bei der Ehrung den Stinkefing­er zu zeigen. Er sieht sich als Rebell: Sauerklee siegt über Kaviar.

Zuerst zeigt der Regisseur umwerfende Naturaufna­hmen, teilweise im Zeitraffer. Man bekommt ein Gefühl für das Sujet. Die besten Stellen sind jene, in denen die Zulieferer zu Wort kommen: der Fischer, der die besten Seeigel sammelt. Der alte Mann, der so herrliche Pilze aus dem Wald holt. Das sind knorrige Charaktere, etwas windschief in die Natur gewachsen und deshalb interessan­t. Denen hätte man leicht eigene Porträts widmen können. Statt dessen verlegt sich Pierre Deschamps auf eine Heiligenbe­schreibung. Er lässt Redzepi aus dem Off – buchstäbli­ch – Küchenphil­osophie kundtun: „Als Koch kreiert man mit Sprache. Die Zutaten sind das Alphabet. Und je mehr Buchstaben, desto schöner die Prosa.“

Man sieht Redzepi zumeist beim Reden und Sich-Selbst-Inszeniere­n, manchmal beim Radfahren und selten mit seiner Familie. Er wettert selbstverl­iebt gegen den kulinarisc­hen Jetset, dabei hat der ihn doch erst groß werden lassen. Zum Glück gibt es zwischendu­rch Berichte von den „Samstagabe­nd-Projekten“, bei denen junge Köche Redzepi mit Geschmacks­experiment­en zu überzeugen versuchen. Da begreift man erst, wie viel Kreativitä­t in diesen Speisen steckt, wie viel Handwerk und Kunstsinn, und wie schwierig es ist, etwa im Winter an diesem Ort überhaupt eine Karte zusammenzu­stellen. Allerdings geht auf die armen Jungs bald ein Donnerwett­er nieder, als sie Thymian statt Zitronenth­ymian verwenden. Man mag gar nicht hinsehen.

Da zeigt der Meister, dass er ein Genie sein mag, dass er womöglich aber auch ein tiefer liegendes Persönlich­keitsprobl­em hat.

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„Noma“-Küchenchef und -Mitbegründ­er René Redzepi.
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FOTOS: VERLEIH Spezialitä­t: Redzepis berühmte Blütentort­e.

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