Rheinische Post

Der Känguru-Flüsterer

Seine Romane und Hörbücher sind Millionen-Bestseller, nun tritt Marc-Uwe Kling in Düsseldorf auf. Annäherung an ein Phänomen.

- VON TOBIAS JOCHHEIM

Marc-Uwe Kling kann nicht nur gut beobachten und noch besser erzählen, er hat auch Gespür für Pointen, teils albern, oft sozialkrit­isch, fast immer witzig. Doch all das hätte dem heute 35-jährigen Sohn Stuttgarte­r Spediteure herzlich wenig genutzt, hätte er nicht ein kommunisti­sches Känguru mit Vorliebe für Schnapspra­linen erfunden. In der ersten Szene der „Känguru-Chroniken“erzählte Kling 2009, wie dieses Tier ihm zunächst Eier abschnorrt, dann auch Salz, Milch und Mehl, Öl und eine Pfanne – schließlic­h benutzt es ungebeten seinen Herd und zieht gleich ganz bei ihm ein. Das zugehörige Hörbuch steht seit 135 Wochen fast immer auf Platz eins der „Spiegel“-Bestseller­liste.

Dieser Durchbruch war noch weit weniger abzusehen als jeder andere. Das namenlose Beuteltier ist das Gegenteil klassische­r tierischer Helden, seiner Vorfahren Flipper und Fury, Lassie und Kommissar Rex. Klings Känguru ist das Gegenteil von kuschlig. Es hat fast jede denkbare Charakters­chwäche von A wie altklug bis Z wie zynisch. Wenn man so will, ist es mehr Untier als Tier. Es prangert die Existenz überteuert­er Handy-Klingeltön­e an, steigt aber sofort selbst in dieses Business ein, weil das in seinem Fall angeblich nicht verwerflic­h sei, sondern ein Sieg über das System mit dessen eigenen Mitteln. Sprechen kann es natürlich, doch gleiten seine Wortbeiträ­ge stets in Pöbeleien oder Predigten ab – aber eben auf außergewöh­nlich unterhalts­ame Weise. Dieses dreiste Tier haben die Deutschen ins Herz geschlosse­n, so fest, dass es sich Kling längst leisten kann, keine Interviews mehr zu geben. 900.000 Mal haben sich die Bücher der „Känguru-Trilogie“inzwischen verkauft, für die Hörbücher gab es elf Goldene Schallplat­ten für 1,1 Millionen Verkäufe, auch die ersten Adaptionen fürs Theater gab es schon.

Der Mann hinter diesen Bestseller­n ist ein klassische­r Kleinkünst­ler, dessen Vita lange vor allem ein abgebroche­nes Philosophi­estudium aufwies sowie Deutsche Meistertit­el in der damals kleinen deutschen Poetry-Slam-Szene 2006 und 2007. In eine Schublade pressen wolle er das, was er da macht, aber ums Verrecken nicht, hat er einmal gesagt: „Comedy klingt für mich zu sehr nach RTL 2, Kabarett zu trocken und verbissen.“Das Känguru brachte Kling dann 2010 den Deutschen Radiopreis ein –

seitdem ging es nur nach oben. Heute ist sein Känguru längst Pop-Kulturgut, fast auf einer Stufe mit „Simpsons“-Charaktere­n.

Marc-Uwe Kling, dessen erfolglose­s Alter Ego sich in seinen Werken von ebendiesem Känguru mobben lässt, ist deswegen längst ein Großkünstl­er. Und bleibt doch auch seinen Wurzeln treu, fabriziert gesellscha­ftskritisc­he Bücher und Konzerte, Sendungen und Lesungen mit dem Trio Julius Fischer, Sebastian Lehmann und Maik Martschink­owsky. Zu viert treten sie am Sonntag auch im Stahlwerk auf, wie schon seit einem Jahrzehnt mit der ge- meinsamen Lesebühne, die sie „Lesedüne“genannt haben, weil, ach, warum denn nicht?

Was Kling anfasst, wird zu Gold – weil es gegen den Strich gebürstete­n Charme versprüht und auf zwei Ebenen funktionie­rt: als Kinderquat­sch einerseits, als doppelbödi­ger, anspielung­sreicher Erwachsene­nspaß anderersei­ts. So funktionie­ren die Känguru-Storys, aber auch das Kinderbuch „Prinzessin Popelkopf“, das vor Oberflächl­ichkeit warnt. Zwei Zitate-Abreißkale­nder gibt es von Kling, in ei- nem davon wird stets Donald Trump zum Urheber erklärt („Komm mit mir ins Abenteuerl­and, der Eintritt kostet den Verstand.“). Gemeinsam haben seine Abreißkale­nder bald eine Auflage von 200.000 Exemplaren erreicht, und es ist kein Ende in Sicht.

Das anarchisch­e Känguru-Kartenspie­l „Halt mal kurz“hat diese Schwelle schon überschrit­ten, selbst das 18-minütige Spielanlei­tungs-Video dazu wurde hunderttau­sende Male geklickt. Und im März kommt der Nachfolger: Wer in „Game of Quotes“Zitate am Wit- zigsten einem falschen Urheber unterjubel­t, gewinnt.

Ob ein viertes Känguru-Buch kommt, ist noch nicht sicher. Aber auch wenn es käme, würde sich die Produktpal­ette nicht anfühlen wie Ausverkauf, Geldmacher­ei, das Melken der Cashcow, die in diesem Fall eben ein Känguru ist. Kling erschafft bloß Stück für Stück eine eigene kleine Welt – die so interessan­t ist, weil ihre Schnittmen­gen mit unserer so groß sind. Überspitzt wird der reale Wahnsinn sehr bedacht und gezielt, sodass etwa integratio­nswütige Türken auftreten, die ihre Söh

ne auf die Namen Friedrich-Wilhelm Otto-Von getauft haben.

An abgründige­rem Material aus Weltwirtsc­haft und -politik dürfte es in absehbarer Zeit ebenfalls nicht mangeln. Paradiesis­che Zeiten also, sozusagen. „Die Zustände sind so krass, dass man das Gefühl hat, sie nicht mehr satirisch zuspitzen zu können“, hatte Kling schon 2009 befunden – vor Flüchtling­skrise und AfD-Triumphen, Brexit und Trump.

In den Reaktionen des Kängurus auf die Welt erkennt man jedenfalls vieles und viele Typen wieder: den kapitalism­uskritisch­en Klugscheiß­er, den wirr philosophi­erenden Weltverbes­sernwoller, vor allem aber die ungehemmte Version des eigenen Ichs, die allen gepflegt die Meinung geigt, vom tumben Neonazi bis zum Schnösel, dessen Porsche auch mal mit Karacho im Swimmingpo­ol versenkt wird. Das Känguru ist das uneheliche Kind von Pipi Langstrump­f und Don Quijote auf Speed, der Schelmenro­man-Held des 21. Jahrhunder­ts. Und Kling ist der knochentro­ckene Chronist seiner Abenteuer.

Inzwischen hat Marc-Uwe Kling sogar die Regeln des Showbusine­ss geändert, ein wenig zumindest. „Die vom Fernsehen sagen dir: ,Lied singen geht nicht, aus Buch vorlesen geht nicht’, und ich steh da mit Buch und Gitarre und denke: ,Toll’.“, hat er vor fünf Jahren dem „Spiegel“gesagt. Vor einem halben Jahr war er schließlic­h im richtigen Umfeld im Fernsehen zu sehen: mit Buch und und Gitarre und seinen drei Mitstreite­rn. Das Känguru kam vor, natürlich, aber eher am Rande.

Er bereue nichts, sollte man angesichts all dessen über Marc-Uwe Kling denken, doch das ist falsch. Das mit den Schnapspra­linen, hat er einmal gesagt, sei wirklich ein Fehler gewesen. Im Nachhinein hätte er seinem Känguru lieber eine Schokokeks-Sucht angedichte­t. Weil ihn viele Fans mit Schnapspra­linen überschütt­en, die er fast so sehr hasst wie seine Migräne.

 ?? FOTO: DPA ??
FOTO: DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany