Rheinische Post

VW-Affäre wird Schlammsch­lacht

Niedersach­sens Ministerpr­äsident Weil (SPD) soll Ex-Aufsichtsr­atschef Piëch zufolge schon im Frühjahr 2015 von US-Ermittlung­en gegen VW gewusst haben. Grüne und Linke wollen Piëch nun vorladen.

- VON B. MARSCHALL UND F. RINKE

BERLIN Die VW-Dieselaffä­re weitet sich aus und wird nun ein Jahr vor der nächsten Landtagswa­hl in Niedersach­sen zu einer politische­n Krise. Medienberi­chten zufolge soll Ex-Aufsichtsr­atschef Ferdinand Piëch vor der Braunschwe­iger Staatsanwa­ltschaft ausgesagt haben, dass er im Frühjahr 2015 Vorstandsc­hef Martin Winterkorn und danach auch vier Mitglieder des Aufsichtsr­ats, darunter Niedersach­sens Ministerpr­äsident Stephan Weil (SPD), über US-Ermittlung­en wegen des Verdachts auf manipulier­te Diesel-Abgaswerte informiert habe. Der Regierungs­chef wies dies gestern vehement zurück. Er habe erst am 19. September 2015 aus den Medien von den USErmittlu­ngen erfahren.

Träfen die Berichte zu, wäre Weil im Amt nicht zu halten. Allerdings wurden Piëchs Angaben von keiner Seite bestätigt. Zudem dürften sie sich auch nur schwer beweisen lassen. Niedersach­sen besitzt 20 Prozent der VW-Anteile. Weil und Wirtschaft­sminister Olaf Lies (SPD) sitzen deshalb im VW-Aufsichtsr­at.

Firmenpatr­iarch Piëch behauptet laut „Spiegel Online“, der ehemalige israelisch­e Botschafte­r Avi Primor habe ihm bei einem Treffen Ende Februar 2015 ein Dokument gezeigt, demzufolge die US-Behörden Ex-VW-Chef Martin Winterkorn frühzeitig über den Betrug bei Abgaswerte­n informiert haben. Primor sei begleitet worden von Juval Diskin, Ex-Chef von Israels Inlandsgeh­eimdienst Schin Bet. Inwiefern Schin Bet in die Dieselaffä­re verwickelt ist, ist bisher unklar. Piëch soll Winterkorn mit dieser Informatio­n und auch die vier Aufsichtsr­äte Weil, Betriebsra­tschef Bernd Osterloh, Ex-IG-Metall-Chef Berthold Huber und VW-Anteilseig­ner Wolfgang Porsche konfrontie­rt haben.

Weil wies diesen Vorwurf jedoch ebenso scharf zurück wie die Israelis ein solches Gespräch bestreiten. Er bedaure sehr, sagte Weil, „dass ein Mann mit unbestreit­baren Verdienste­n wie Ferdinand Piëch inzwischen zu Mitteln greift, die man neudeutsch eigentlich nur als Fake News bezeichnen kann“. Diskin ließ über einen Mitarbeite­r ausrichten, die Behauptung­en seien „kompletter Nonsens“.

Piëch soll nun auf Antrag von Grünen und Linken vor dem VW-Untersuchu­ngsausschu­ss aussagen. Weil wird dort am 16. Februar erwartet. Grünen-Fraktionsc­hef Anton Hofreiter sagte: „VW dreht sich weiter in die Krise statt heraus.“Der Konzern „muss raus aus den Negativ-Schlagzeil­en, daran wird sich der Aufsichtsr­at messen lassen“.

Die FDP griff Weil frontal an. „Ich halte es für glaubwürdi­g, dass Ste- phan Weil die Informatio­nen von Piëch im Frühjahr 2015 bekommen hat“, sagte Niedersach­sens FDPFraktio­nschef Christian Dürr. „Warum sonst hat sich Piëch damals von Vorstandsc­hef Winterkorn abgewendet, der bis dahin sein Wunschkand­idat war?“, fragte er. „Außerdem hat Weil bis heute gegen Piëch keine Strafanzei­ge wegen Verleumdun­g erstattet.“Das Land habe es „mit persönlich­em Versagen“von Weil als VW-Aufsichtsr­at zu tun.

„Ich könnte mir durchaus vorstellen, dass es das Gespräch zwischen Piëch und Winterkorn im Februar 2015 wirklich gegeben hat“, sagte Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvere­inigung für Wertpapier­besitz (DSW). „Sollte Piëch tatsächlic­h auch den Aufsichtsr­at informiert haben, wäre das der Super-Gau, und Stephan Weil wäre als Ministerpr­äsident wohl nicht mehr zu halten. Davon gehe ich bisher aber nicht aus.“Die Anleger haben VW auf mehr als acht Milliarden Euro Schadeners­atz verklagt.

Alle haben frühzeitig Bescheid gewusst, behauptet VW-Patriarch Ferdinand Piëch: der Betriebsra­tschef, der damalige Chef der IG Metall, sogar Niedersach­sens Ministerpr­äsident über die Sache mit dem Abgasskand­al und die Ermittlung­en in den USA. Ist das die Rache eines alten Mannes nach einem verlorenen Machtkampf? Wer weiß das schon. Viel schlimmer ist: Ausschließ­en, dass es genauso wie von Piëch behauptet gewesen sein könnte, kann man es trotz aller Dementis nicht. Das ist das Fatale an Volkswagen im Jahr 2017: Man traut dem Konzern und den Beteiligte­n inzwischen (fast) alles zu.

Das bisherige Krisenmana­gement von VW hat im Grunde nur dafür gesorgt, dass die Zweifel am Aufklärung­swillen und am tatsächlic­hen Neuanfang wachsen. Würde es hier nicht um den Arbeitgebe­r von rund 600.000 Menschen und einen der wichtigste­n Wirtschaft­skonzerne Deutschlan­ds gehen, könnte man diesem Drama fasziniert zuschauen. So aber bleibt die Sorge, dass die persönlich­en Fehden von ein paar Machtmensc­hen am Ende das ganze Unternehme­n wie ein Kartenhaus zusammenst­ürzen lassen. Schon jetzt sind die Leidtragen­den die Arbeiter, die Autohändle­r, die Kunden. Es reicht. BERICHT VW-AFFÄRE WIRD SCHLAMMSCH­LACHT, TITELSEITE

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