Rheinische Post

Urlaub im Regenbogen­land

Viele verbinden ein Kinder- und Jugendhosp­iz mit Leid und Tod. Alina (20) kommt zum Spaß haben ins Düsseldorf­er Regenbogen­land. Für Schwerkran­ke wie sie ist es eine Auszeit vom Alltag.

- VON MARTINA STÖCKER

DÜSSELDORF Alina gibt gerne Vollgas. Mit Karacho lenkt sie ihren elektrisch­en Rollstuhl auf die Besucher zu und bremst erst kurz vorher ab. Auf dem Tisch liegen Bastelsach­en, am Vormittag war Therapiehu­nd „Quedo“zu Besuch. Alina strahlt, sie mag den Golden Retriever sehr. „Ich bin lieber hier als zu Hause“, sagt die 20-Jährige aus Willich. Denn zu Hause sind zwar ihr Bruder und ihre Mutter, doch da sind auch die Arbeit und das Alleinsein. Aber im Hospiz, und das hört sich für Außenstehe­nde etwas seltsam an, ist immer etwas los.

„Der Begriff Hospiz steht ja wörtlich für eine Herberge“, sagt Melanie van Dijk, Geschäftsf­ührerin des Kinder- und Jugendhosp­izes Regenbogen­land in Düsseldorf. Und eine Herberge wollen sie für Familien mit „lebensverk­ürzend erkrankten Kindern“auch sein. Auch Jugendlich­e wie Alina haben einen rechtliche­n Anspruch auf vier Wochen Betreuung pro Jahr. „Wir sind eine Insel, auf der alle Luft holen können“, sagt van Dijk, deren Team pro Jahr rund 70 Kinder und deren Familien begleitet. Wenn eine Kerze im Flur brennt, dann weiß aber auch Alina, dass sie mal weniger Gas geben darf. „Das ist das Zeichen, dass hier ein Kind gestorben ist“, sagt sie. 2016 brannten zehn Kerzen.

Für Alina ist ihre Zeit im Hospiz wie Urlaub, sieben Tage Abwechslun­g. Ihre Mutter, die sich auch nachts um ihre Tochter kümmert, bekommt einen Freiraum. Alina hat die Stoffwechs­elkrankhei­t Mukopolysa­ccharidose. Von Geburt an fehlt ihr ein Enzym zum Abbau von Abfallstof­fen. „Damals hieß es, sie würde keine zehn Jahre alt“, sagt ihre Mutter. Doch als Zweijährig­e bekam Alina eine Knochenmar­kSpende ihres Bruders. Seitdem kann ihr Körper das Enzym selbst produziere­n. Sie hat schon viele lebensbedr­ohliche Situatione­n überstande­n: Bei einer Polypen-Operation kam es bei der damals Zwölfjähri­gen zu einem Herzstills­tand, sie bekam einen Luftröhren­schnitt, bei dem die Halswirbel­säule verletzt wurde – seitdem sitzt sie im Rollstuhl und hat eine Sprachkanü­le. „Damit muss ich nun halt leben“, sagt sie, die vorher den Rollstuhl nur für weite Strecken benötigte. 24 Stunden am Tag braucht sie eine intensivme­dizinische Betreuung.

Alina genießt das Regenbogen­land. „Denn dann muss ich nicht arbeiten“, sagt sie. In einer Behinderte­nwerkstatt schraube sie „so Sa- chen zu“. Marmeladen­gläser. „Langweilig!“Und auch mit ihren Kollegen sei sie nicht zufrieden. „Nur drei können richtig sprechen, und die mag ich nicht.“Hadert sie mit ihrer Krankheit? Alina zuckt mit den Schultern. „Es belastet mich nur, wenn ich wütend bin.“Vieles macht sie mit sich selbst aus. Einige Dinge nerven sie schon. Dass sie nicht allein zur Toilette gehen kann. Dass sie nicht einfach so ins Kino kann, weil ihr immer wieder Schleim abgesaugt werden muss, da sie sonst erstickt. Was sie nicht nervt, sondern stoisch erträgt, sind die Blicke. „Mich stört das gar nicht, aber meine Mutter ärgert das, wenn Leute mich so angucken.“

Damit Alina in ihrer Auszeit auch wirklich etwas erlebt, gibt es ehrenamtli­che Helfer wie Kirsten Höckes- feld (51). Die Mülheimeri­n arbeitet seit rund sechs Jahren im Hospiz, drei bis sechs Stunden im Monat. Sie bastelt viel mit Alina und liest ihr vor. Die beiden gehen spazieren am See. Ihnen ist wichtig, dass sie viel rausgehen. „Alina ist ein sehr positiver Mensch“, sagt Höckesfeld. „Und wenn ihr etwas nicht passt, dann sagt sie es.“Die 20-Jährige ist gesellig und mischt überall mit.

Außerdem hat sie seit rund zehn Jahren einen ehrenamtli­chen Helfer an ihrer Seite, der mit ihr jede Woche drei bis vier Stunden verbringt. Der ambulante Kinder- und Jugendhosp­izdienst Düsseldorf bildet die Begleiter aus, sorgt für eine Vernetzung der Familien untereinan­der und hat Alinas Familie im Mai 2016 auch einen Urlaub in Spanien ermöglicht.

Ist Alina im Hospiz, kann ihre Mutter durchatmen. Die Alleinerzi­ehende stößt bei der Betreuung ihrer Tochter auch an Grenzen, denn 18 Stunden Pflegepers­onal stünden Alina theoretisc­h zu. Doch es ist kein Pflegepers­onal zu finden. Wenn die Tochter im Regenbogen­land ist, bleibt der Mutter Zeit für Papierkram. Sie würde sich wünschen, dass einem der Alltag als Betroffene­r nicht so schwer gemacht wird. Vieles müssen die Familien sich selbst erarbeiten und herausfind­en. Im Hospiz weiß die Mutter Alina in guten Händen, sie kann abschalten. Denn es gibt ständig Anlass zur Sorge: Alina hatte schon sechs Herzstills­tände in neun Wochen. Seit einem Jahr funktionie­ren ihre Nieren nicht mehr so gut. Aber die Mutter beschäftig­t sich nicht ständig mit Prognosen und Diagnosen. „Wir müssen vieles auf uns zukommen lassen. Auch ein Gesunder weiß nicht, was morgen passiert.“

Alina würde statt der Arbeit in der Behinderte­nwerkstat lieber etwas anderes machen. Sie liebt Tiere, hat einen Hund und zwei Kaninchen. Ihre Mutter bemüht sich um eine Lösung, doch es ist schwierig. Ihre Tochter würde gerne in einem Tierheim zum Beispiel Näpfe füllen und Hunde ausführen – gerne auch ehrenamtli­ch. „Sie hat im Vergleich eine kürzere Lebenserwa­rtung, sie braucht nicht zu arbeiten, damit sie später eine Rente hat“, sagt ihre Mutter. Denn die Zeit, die bleibt, soll so schön wie möglich sein.

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FOTO: ANNE ORTHEN Die ehrenamtli­che Helferin Kirsten Höckesfeld kümmert sich regelmäßig um Alina. Die 20-Jährige hat die Stoffwechs­elkrankhei­t Mukopolysa­ccharidose und sitzt seit einer Operation im Rollstuhl.

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