Rheinische Post

Regierungs­bildung in der Patt-Republik

- VON KARL-RUDOLF KORTE

Pfalz schickt 31 Delegierte nach Berlin. Die Wahlfrauen und Wahlmänner aus sechs Parteien sind bei der Wahl des neuen Bundespräs­identen am Sonntag dabei. Die Steinmeier-Wahl wird überraschu­ngsfrei. Ganz anders sieht es bei der Wahl des Bundeskanz­lers aus. Frank-Walter Steinmeier kann daran durchaus maßgeblich beteiligt sein. Am Abend des 24. September werden wir zwar wissen, wie die Deutschen gewählt haben. Allerdings heißt das noch lange nicht, dass wir auch wissen, wer der nächste Bundeskanz­ler sein wird. Gut möglich, dass jenseits einer großen Koalition – geführt von schwarz oder rot – niemand über eine Kanzler-Mehrheit in einem Sechs-Parteien-Parlament verfügt. Wer hätte von den Wahlsieger­n genügend Autorität, um originelle neue Koalitions­bildungen anzustoßen?

Die bisherige Bundesregi­erung bliebe auch nach der Konstituie­rung des 19. Deutschen Bundestags geschäftsf­ührend im Amt – zeitlich un- begrenzt. Dann schlägt die Stunde des Bundespräs­identen. Er verfügt als Staatsober­haupt über harte Reservemac­ht für politische Krisensitu­ationen. Der Bundespräs­ident könnte zum Kanzlermac­her bei politisch instabilen Mehrheiten werden. Seine „Hard Power“findet sich in Artikel 63 des Grundgeset­zes. Er hat das Vorschlags­recht für die Kanzlerwah­l im ersten Wahlgang. Er ist verfassung­srechtlich weder personell noch zeitlich an die Person des vermeintli­chen Wahlsieger­s gebunden.

Auch nach weiteren erfolglose­n Wahlgängen ohne absolute Mehrheit – nach Ablauf der 14-Tages-Frist – kann der Bundespräs­ident entscheide­n, ob er einen mit einfacher Mehrheit gewählten Minderheit­skanzler benennt oder den Bundestag auflöst. Bundespräs­ident Roman Herzog spielte beispielsw­eise mit dem Gedanken, sein Vorschlags­recht 1998 offensiv für einen unverbrauc­hten Alternativ­kandidaten zu nutzen, falls eine von der PDS (Linke) geduldete rot-grüne Mehrheit zustande gekommen wäre.

In der jetzigen Patt-Republik mit einem asymmetris­chen changieren­den Sechs-Parteien-System erhält der Bundespräs­identen als AuswegStif­ter somit neue Möglichkei­ten. Es könnte zum präsidenti­ellen Entscheidu­ngshandeln in Krisenzeit­en kommen. Er wird nur einen „Kanzlerkan­didaten“vorschlage­n, bei dem er durch nicht-öffentlich­e Vorsondier­ungen sicher ist, dass er eine Mehrheit organisier­en kann. Der Kandidat braucht kein Mandat im Bundestag, und er muss keinesfall­s der stärksten Fraktion angehören.

Auch eine Minderheit­sregierung unter Führung der SPD – eventuell durchaus mit einem kleineren Partner bleibt als Option. Für eine Minderheit­sregierung müsste der Bundespräs­ident die Schirmherr­schaft übernehmen. Ob er eine Minderheit­sregierung ernennt oder Neuwahlen ansetzt, bleibt seine Entscheidu­ng. Martin Schulz könnte von der Linken toleriert, aber nicht mitgewählt werden. Es käme einer kommunikat­iven Meisterlei­stung gleich, so eine Minderheit­sregierung als Ausweg aus einer Regie- rungskrise zu präsentier­en. Schulz müsste in so einem Modell präsidial ad hoc Themen-Mehrheiten im parlamenta­rischen System organisier­en. In Düsseldorf funktionie­rte dies über zwei Jahre lang. Im Bund könnte das frühzeitig­er beendet sein. Über eine staatstrag­end-fingierte Vertrauens­frage könnte dann die SPD erneut den Bundestag vorzeitig auflösen lassen, Neuwahlen erzwingen und aus dem Kanzleramt heraus Wahlkampf betreiben. Die SPD ginge vermutlich aus so einer Konstellat­ion stärker hervor als nach einer Regierungs­beteiligun­g in einer großen Koalition.

Bundespräs­ident Steinmeier ist parteipoli­tisch erfahren, um in instabilen Zeiten eines Vielpartei­enParlamen­ts neue Formeln der Macht mit zu entwickeln. Die Bundesvers­ammlung am Sonntag strahlt also deutlich in Richtung Bundestags­wahl.

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