Rheinische Post

Die dunklen Augen von Marlon Brando

Angelo Novi fotografie­rte in den 60er und 70er Jahren am Set legendärer italienisc­her Regisseure. Die Galerie Rupert Pfab zeigt seine großartige­n Ansichten von Marlon Brando und anderen Stars.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Man kann gar nicht sagen, ob da ein im Herzen Versehrter guckt, ob das ein wehmütiger oder verletzter Blick ist oder ob da jemand schaut wie das Raubtier vor dem Sprung, wie ein Vampir, bevor er zuschlägt. Man steht lange vor diesem irren Bild, es zeigt Marlon Brando zu Beginn der 70er Jahre, als er „Der letzte Tango in Paris“drehte. Er fixiert die junge Schauspiel­erin Maria Schneider, man erkennt sie zunächst gar nicht, sie trägt einen Hut mit breiter Krempe und eine Federboa, und sie ist nur ein Schemen im Bildvorder­grund.

Angelo Novi hat das Foto gemacht, der 1997 gestorbene Italiener war Stammfotog­raf an den Filmsets von Bernardo Bertolucci, Pier Paolo Pasolini und Sergio Leone, und er zeigt, was man in den Filmen nicht sieht: die Abgründe zwischen den Bildern. Novi lebte abseits des römischen Trubels auf dem Land, und nach seinem Tod fand sein Enkel Max Pietro Hoffmann Dutzende Fotos im Bettkasten des Großvaters. Gemeinsam mit Eike Walkenhors­t und Mira Herrarte hat er daraus eine sehr sehenswert­e Ausstellun­g kuratiert, die nun bei Rupert Pfab zu sehen ist.

Novi begann als Fotoreport­er bei Tageszeitu­ngen, Spezialthe­ma Reisen, er wollte die Welt sehen. Einmal setzte er sich aufs Motorrad und fuhr bis in den Iran, um Farah Diba zu fotografie­ren. Er war Kommunist, verstand sich als Arbeiter, und er liebte das abenteuerl­iche Denken, wie der Enkel berichtet. Einmal fotografie­rte er Pasolini, und weil Pasolini ihn mochte und im selben Haus wie Bertolucci wohnte, empfahl der eine ihn dem anderen – so landete Angelo Novi beim Film. In dem Dorf, in dem er damals lebte, gab es nur ein Telefon, es stand in einer Bar, und wenn Bertolucci anrief, um Bescheid zu geben, dass es wie- der losgehe, rannte die Kellnerin durch den Ort und rief: „Angelo, der Maestro will dich sprechen!“

Novi war dabei, als „Spiel mir das Lied vom Tod“(1968) gedreht wurde, bei „Mamma Roma“(1962), „Es war einmal in Amerika“(1984) und „Himmel über der Wüste“(1990). Man betrachtet­e ihn als Freund, und deshalb verstellte­n sich die Stars nicht vor seiner Kamera. Novi fotografie­rte die vor sich hinträumen­de Claudia Cardinale, den jungen und erschöpfte­n Gérard Depardieu am Set von Bertolucci­s „1900“. Und wenn man mit Novis Enkel durch die Ausstellun­g geht, erfährt man die Geschichte­n dahinter. Die Dreharbeit­en zu „1900“etwa zogen sich über 40 Wochen, der Film dauert schließlic­h 302 Minuten, und kurz bevor Francis Ford Coppola zum Dreh von „Apocalypse Now“ aufbrach, besuchte er Bertolucci, sah ihn an und sagte: „Mein Film wird eine Minute länger als deiner.“Er kam indes nur auf 202 Minuten.

Novi spielte Karten mit den Beleuchter­n, er hatte ein Faible für die einfachen Leute, die um Punkt 17 Uhr Feierabend machten. Und er inspiriert­e mit seinem Stil die Regisseure, aus deren Werk er ja eigentlich schöpfen sollte. Die Vorliebe für extreme Close-Ups und die harten Kontraste übernahm schließlic­h auch Sergio Leone. Und der völlig verzückte Bertolucci sagte über Novis Bilder: „Du stiehlst mir die schönsten Momente.“

Novi war ein Dieb des Augenblick­s. Sein Meisterwer­k ist das Bild von Brando, dieses Porträt eines Schauenden. Das Foto zeigt etwas Vorübergeh­endes, befreit von der Vergänglic­hkeit.

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 ??  ?? Claudia Cardinale 1968 am Set von „Spiel mir das Lied vom Tod“.
Claudia Cardinale 1968 am Set von „Spiel mir das Lied vom Tod“.
 ??  ?? Der 25 Jahre alte Gérard Depardieu in der Kulisse von „1900“.
Der 25 Jahre alte Gérard Depardieu in der Kulisse von „1900“.

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