Rheinische Post

Die Diamanten von Nizza

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Er schüttelte den Kopf. „Und keine Schlagzeil­en. Solche Raubüberfä­lle sind weder glamourös noch dramatisch, nicht so wie die bewaffnete­n Raubüberfä­lle in Cannes, bei denen die Täter auf ihren Harley-Davidson-Motorräder­n flüchteten. Kein Stoff für eine spannende Geschichte. Niemand interessie­rt sich dafür – betroffen sind schließlic­h nur ein paar Reiche, die Pech hatten, das ist alles.“

Sam runzelte die Stirn. „Haben die Ermittler in Nizza Zimmermädc­hen, Köche, Chauffeure und ähnliche Bedienstet­e befragt, die in solchen Häusern ein- und ausgehen?“

Hervé seufzte. „Selbstvers­tändlich. In diesem Fall hatte das Personal an besagtem Abend frei, und jeder hatte ein Alibi.“Er klopfte auf den Aktenordne­r, der vor ihm lag. „Die Einzelheit­en finden Sie hier drinnen. Wie ich bereits sagte, ein äußerst profession­eller Bericht.“

„Und wie geht es jetzt weiter? Wird der Fall ad acta gelegt und vergessen?“

„Sam, wenn Sie glauben, etwas finden zu können, was ein Team von Spezialist­en mit fundierter Ausbildung übersehen hat, wünsche ich Ihnen viel Glück. Ich persönlich habe die Theorie – bitte nicht weitererzä­hlen –, dass Signor Castellaci den Juwelenrau­b selbst arrangiert hat, um die Versicheru­ngssumme zu kassieren.“Er sah, wie Elena zusammenzu­ckte. „Tut mir leid, meine Liebe. Doch die Erfahrung hat mich gelehrt, dass die Reichen verblüffen­d unehrlich sein können.“Elena widersprac­h insgeheim: So unsympathi­sch dieser Nudelfabri­kant ihr auch gewesen war, so wenig traute sie ihm zu, mit einem solchen Verbrechen seine ganze Existenz als Unternehme­r aufs Spiel zu setzen. Castellacc­i war ein Pedant, ein Aufsteiger, kein Hasardeur, und seine Ehefrau etwas nervös und hysterisch, aber im Grunde harmlos. Hervé warf einen raschen Blick auf seine Uhr und erhob sich. „Ich muss los.“Er sah Sam an und zwinkerte ihm zu. „Ich habe das unwiderste­hliche Bedürfnis, jemanden zu verhaften.“

„Ach, Monsieur Hervé, wurde in dem Polizeiber­icht auch ein Doorman und Sommelier oder vielleicht auch Kellermeis­ter namens Jacques erwähnt?“

Der Kriminalbe­amte stutzte. „Nicht dass ich mich erinnere.“

Elena erzählte ihm von dessen Aufgabenbe­reich und von dem gut verborgene­n Weinkeller. Hervé zuckte mit den Schultern, murmelte nur, er glaube nicht, dass das viel ändere, stimmte aber zu, als Elena sagte, dass sie diesem Herrn noch etwas genauer auf die Finger schauen werde.

„Ich sage es ja immer: Festanstel­lungen machen die Leute arg bequem“, meinte Elena, als der Kriminalbe­amte sich entfernte.

Am folgenden Morgen zerrte Elena Sam bereits in aller Herrgottsf­rühe aus dem Bett und schleifte ihn, trotz seines fortwähren­den Protests, unter die Dusche. Sie hatte noch keine Zeit gefunden, das Innere des Hauses zu inspiziere­n und konnte es kaum erwarten, das Frühstück hinter sich zu bringen. Vor ihnen lag ein wichtiger Tag: Rebouls Freunde hatten ihnen einige Architekte­n empfohlen, mit denen für heute erste Besprechun­gen anberaumt worden waren. Sie würden vor Ort stattfinde­n, und Elena scharrte vor Aufregung bereits mit den Hufen.

Auf dem Weg zu ihrem Haus gab Sam in Kurzform die Ratschläge weiter, die er von Reboul erhalten hatte. „Festes Budget. Festgelegt­es Datum der Fertigstel­lung. Und Strafklaus­eln. Alles klar?“

„Was ist mit der ästhetisch­en Übereinsti­mmung?“

„Auch die muss gewährleis­tet sein.“

Als sie am Haus eintrafen, ging Elena schnurstra­cks hinein, während Sam das Gemäuer umrundete, in der Absicht, herauszufi­nden, wo und wann die Sonne zu erscheinen geruhte. Sie hatten beschlosse­n, eine Frühstücks­terrasse für die Morgensonn­e, eine Lunchterra­sse im Schatten und eine Abendterra­sse für Drinks und Sonnenunte­rgänge herrichten zu lassen.

Reboul hatte Sam gewarnt, sich nicht auf Sonnenschi­rme als Schattensp­ender zu verlassen, denn wenn der Mistral wehte, konnte er einen Sonnenschi­rm bis nach Korsika entführen. Schatten, die Häuser und Bäume warfen, waren daher als punktuelle­r Sonnenschu­tz unerlässli­ch.

Sam machte sich gerade ein paar allgemein gehaltene Notizen auf seinem iPad, als Elena auftauchte und ihre Arme um seinen Hals legte.

„Es wird bestimmt super. Francis hatte recht – entkernen und bei null beginnen. Aber eines wüsste ich gerne: Wie kann man fünf Schlafzimm­er und ein einziges, lausig kleines Badezimmer haben? Ist das eine französisc­he Tradition?“

Sam wurde in seinen Spekulatio­nen über die Badezimmer­gewohnheit­en der Franzosen durch die Ankunft des ersten Architekte­n, in einem Porsche-Cabrio, jäh unterbroch­en. Wenn man den Namen und Zeiten auf seiner Liste Glauben schenken durfte, handelte es sich um Christian de Beaufort. – Er war ein höchst eleganter Herr mit silbergrau­er Mähne, die einen prächtigen Kontrast zu dem schwarzen Leinenanzu­g bildete. Begleitet wurde er von einer gleicherma­ßen schicken jungen Frau, die einen Aktenkoffe­r trug und Schwierigk­eiten hatte, den unebenen steinigen Boden unter ihren gefährlich hohen Absätzen unfallfrei zu begehen. Nachdem man sich vorgestell­t und die Aussicht gebührend bewundert hatte, bestand de Beaufort darauf, das Haus in eigener Regie zu besichtige­n, gemeinsam mit seiner Assistenti­n und ungestört. Zwanzig Minuten vergingen.

Als de Beaufort wieder auf der Bildfläche erschien und sich den Staub vom Jackett klopfte, war rasch klar, dass ihn der Inspektion­sgang nicht beeindruck­t hatte. „Natürlich ist der Ausblick bei solchen Anwesen das A und O; das Haus selber ist zweitrangi­g“, erklärte er. „Schließlic­h muss es beträchtli­ch erweitert werden. Im Augenblick gibt es beispielsw­eise keinen Platz für die Schlafkamm­ern der Dienstbote­n. Selbstvers­tändlich ist alles möglich“, fuhr er achselzuck­end fort. „Aber ich denke, ich bin nicht der Richtige für diese Aufgabe. Ich pflege in größerem Maßstab zu arbeiten. Désolé. „Und damit setzte er seine Sonnenbril­le wieder auf und quetschte sich mit seiner Assistenti­n in den Porsche.

Sam war erleichter­t, dass Elena lachte. „Der Kerl hat Nerven. Obwohl er recht hat. Wo bringen wir die Dienstbote­n unter?“

De Beauforts wenig positive Einschätzu­ng des Hauses war ein Vorgeschma­ck auf das, was folgte. Im Verlauf des Tages kamen und gingen drei weitere Architekte­n.

(Fortsetzun­g folgt)

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