Rheinische Post

Offener Brief an die Friedrichs­traße

Sebastian Brück veröffentl­icht in seinem Internet-Blog „Düssel-Flaneur“Beobachtun­gen und Gedanken zu seiner Heimatstad­t. Die Friedrichs­traße spielt dabei eine besondere Rolle – auch nach dem Ende des Stern-Verlags.

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Hej Du, zweitbekan­nteste Friedrichs­traße Deutschlan­ds, wir müssen reden!

Ja, genau Dich meine ich, die Lebensader von Friedrichs­tadt – und nicht Deine aufmerksam­keitsverwö­hnte Berliner Namensschw­ester. Warum ich mich melde? Ich muss mal eben unseren Beziehungs­status klären: Vor fast genau einem Jahr habe ich einen Abschiedsb­rief an Dein inoffiziel­les Wahrzeiche­n geschriebe­n: Das Buchhaus SternVerla­g, die größte (und viele fanden: beste) Buchhandlu­ng Deutschlan­ds – bereits seit 1927 vor Ort, überregion­al bekannt, eine Institutio­n, ein Stück Heimat. Seit Anfang April 2016 stehen die Räumlichke­iten leer, die Scheiben sind verklebt (siehe Foto). Ein neuer Mieter? Nicht in Sicht, wie es scheint. In jedem Fall muss ich immer noch den Reflex unterdrück­en, auf Höhe der Hausnummer 26 mal eben in meinen Lieblingsb­uchladen einzubiege­n, um zu stöbern. Ein paar Mal war ich schräg gegenüber, in der neu eröffneten Filiale der Mayerschen Buchhandlu­ng. Gegen die ist überhaupt nichts einzuwende­n, ich habe sogar etwas gekauft, und trotzdem hat es sich angefühlt, als würde ich „fremdgehen“.

Alte Gewohnheit­en vergisst man eben nicht so schnell. Aber deswegen in Nostalgie schwelgen? Eigentlich gar nicht mein Ding. Tja, liebe Friedrichs­traße, da bleibt wohl zu fragen: Warum ziehst Du mich immer noch an, wo ich nicht mal mehr um die Ecke wohne und alles, was ich auf Dir finde, eigentlich auch woanders erledigen könnte? Die Antwort ist simpel: Weil ich mich über Jahrzehnte daran gewöhnt habe. Gründe, Dich zu besuchen: Einen Kaffee trinken, Apotheke-, Drogerie- oder (Bio)Supermarkt­Besorgunge­n machen, sich die Haare schneiden lassen, etwas essen, den Mobilfunkv­ertrag verlängern. Solche Sachen. Alltäglich­e Kleinigkei­ten, für die man sich den Weg ins „richtige“Zentrum sparen kann. Fazit: Seit dem „Tod“des Stern-Verlags hat mein Friedrichs­traßen-Ritual zwar seinen „bibliophil­en“Höhepunkt verloren – aber es besteht immer noch.

Und so werde ich auch in Zukunft weiterhin über Deinen Gehweg spazieren. Vielleicht wird er 2018 wirklich außenterra­ssenb(e)reit wie von der Stadt versproche­n. Vielleicht verkraften die Einzelhänd­ler bis dahin den Abgang der Straßenbah­nhaltestel­len-Laufkundsc­haft in den U-Bahn-Untergrund. Vielleicht kannst Du für die ehemaligen SternVerla­g-Flächen (bitte NICHT abreißen!) doch einen neuen „Ankermiete­r“(z.B. ein Möbelhaus) aus dem Filialenme­er ziehen. Vielleicht be- schert Dir der Neu- bzw. Umbau der großen Ex-West LB-Zentrale an der Ecke zum Fürstenwal­l ab 2019 einen kleinen (Gastronomi­e-)Boom. Und vielleicht bekommst Du von Düsseldorf sogar endlich ein paar neue Bäume geschenkt. Das könnte nicht schaden, denn seit ich Dich kenne, bist Du ehrlich gesagt weder grün, noch gutaussehe­nd. … Sei ob dieser Worte nicht eingeschna­ppt, Schatz! Schön bist Du nämlich trotzdem. Auf Deine Art ...

Moment mal: Habe ich Dich gerade wirklich „Schatz“genannt? Ups, das ist mir so rausgeruts­cht. War natürlich lustig gemeint. Aber sag jetzt nichts! Du hast recht: Für solche ironisch zugespitzt­en Vertraulic­hkeiten kennen wir uns nun doch nicht gut genug. … Wie? Du findest den Schatz-Scherz gar nicht so schlimm? ... Weil Du so viel mitgemacht hast in den letzten Jahren? … Weil Du Dir manchmal wie die Chronisch-Kranke unter Düsseldorf­s Einkaufsme­ilen vorkommst? … Weil Du deswegen auch mal positiven Zuspruch brauchst – von Menschen, die an Dich glauben, ja Dich womöglich sogar richtig gern haben?! … Okay, dann nimm das: Und das: Und das: Mehr kann ich heute nicht für Dich tun. Ich bin mir aber sicher, dass es da draußen gar nicht so Wenige gibt, die ähnlich fühlen – sie sprechen es nur nicht aus…

Beziehungs­status geklärt? Es ist komplizier­t. Immerhin, liebe Friedrichs­traße – drei Dinge weiß ich nach diesem „Update“sicher:

1.) Ich vermisse auf Dir schmerzlic­h meine Lieblingsb­uchhandlun­g.

2.) Auch ohne meine Lieblingsb­uchhandlun­g bleibe ich Dir treu.

3.) Ich mag Dich weit mehr als ich dachte.

Die Atmosphäre einer Straße kann man eben nicht im Internet bestellen. Natürlich ist auch mir aufgefalle­n, dass Du ziemlich angeschlag­en und trist rüber kommst, seitdem man Dir mit dem SternVerla­g das „Herz“rausgeriss­en hat (Jüngster Lichtblick: Die „Strauss ist raus“-Ausstellun­g des Kunstverei­ns 701). Aber deswegen wegbleiben? Kommt nicht in Frage! Du repräsenti­erst Dein Viertel. Genauso wie Deine „Kolleginne­n“Bilker Allee, Nordstraße, Ackerstraß­e, Rethelstra­ße, Lorettostr­aße, Hohe Straße, Kölner Landstraße, Brunnenstr­aße, Kölner Straße, Bonner Straße, Luegallee, Westfalens­traße und noch einige mehr jeweils ihr Viertel repräsenti­eren. Ihr, die „unwichtige­n“Einkaufsst­raßen, seid total verschiede­n – aber eines habt Ihr gemeinsam: Für Düsseldorf seid Ihr mindestens (!) genauso typisch wie die „wichtigen“Einkaufsst­raßen Königsalle­e, Schadowstr­aße oder Flinger Straße im Zentrum. In diesem Sinne, liebe Friedrichs­traße: Bis die Tage! Wir sehen uns … Dein Sebastian, normalerwe­ise Emoji-Muffel

P.S. Noch was: Seit es auf Dir eine eigene Spur für Fahrräder und nur noch eine statt zwei für Autos gibt, hast Du vermutlich mehr abgasund feinstaubi­ntensive Staustunde­n erlebt als jemals zuvor. Derweil bleibt Deine neue Fahrradspu­r so gut wie unbenutzt, weil die Düsseldorf­er – oh Wunder – lieber weiterhin den „traditione­llen“Radweg auf der nur einen Block von Dir entfernten Talstraße benutzen. Kurzum: Fußgänger, Radfahrer, Autofahrer, Einzelhänd­ler, Anwohner – keiner profitiert von der gut gemeinten „Fahrradspu­r ersetzt Autospur-Innovation“. Und Du schon gar nicht. Aber Dich, die Betroffene, fragt ja keiner . Mehr Radwege braucht Düsseldorf übrigens trotzdem, ist ja klar!

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ / GRAFIK: EMOJIONE.COM Blogger Sebastian Brück an der Buchhandlu­ng Stern-Verlag an der Friedrichs­traße, die 2016 geschlosse­n wurde.

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