Rheinische Post

Zurück in den Hörsaal

Fast 14 Jahre nach ihrem Studienabs­chluss wollte unsere Redakteuri­n einen Tag lang mal wieder Studentin sein. Doch dann kam alles anders.

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Schon fünf Minuten nach Vorlesungs­beginn reißt die Frau in Jeans und Hemd die Mauer aus schwarzen Laptoprück­en ein. „Sie machen einen Fehler“, sagt die Professori­n zu Studenten, die sich bis eben hinter ihren Bildschirm­en verschanzt und ununterbro­chen geredet hatten. Smartphone­s und WhatsApp, das seien „geile Erfindunge­n“, um über den Dozenten vorne im Hörsaal herzuziehe­n. „Doch wenn Sie hier lautstark über Ihren Dozenten herziehen und lästern, kann er oder sie das hören.“Das störe nicht nur die anderen Kommiliton­en auf den Klappsitze­n aus Holz, sondern lenke eben auch sie als Professori­n ab: „Denn ich finde das, was sie erzählen, manchmal ein bisschen interessan­ter, als das, was ich hier vorne erzähle, weil: Das kenne ich ja schon!“Gelächter im Hörsaal.

Diese Mauer gab es schon vor mehr als 15 Jahren in Vorlesunge­n. Damals bestand sie aus Aktenordne­rn, die man vor sich postierte, um dahinter einen Imbiss zu essen oder mit seinem Nachbarn zu sprechen, während der Professor damit beschäftig­t war, seinen Vortrag vom Papier abzulesen. Die Unverständ­lichkeit wurde dabei wie ein Berufsetho­s kultiviert, so wie die Lethargie der Studenten. Oft wünschte ich mir den Fall dieser Mauer der Gleichgült­igkeit und Ignoranz.

Doch diese Vorlesung an der Heinrich-Heine-Universitä­t ist anders. Die Professori­n spricht nicht in ihren Laptop, sondern zu den Studenten. „Akteure sind Aktanten, aber nicht alle Aktanten sind Akteure“, sagt sie, während sie ihre Stimme mal hebt und senkt und mit einem Klick in die Tasten ihres Laptops diese These auf die Leinwand hinter sich projiziere­n lässt. Studenten seien „nur in der Assemblage hier mit jemanden, der oder die vorträgt, in diesem Saal mit diesen Stühlen, mit diesen Schreibins­trumenten Studierend­e.“So wie der Fahrradfah­rer nur mit dem Fahrrad ein Fahrradfah­rer sei. Längst habe ich mein Handy beiseite gelegt. Das Getippe auf den Tasten der Laptops der Studenten ist verstummt. Die Obstsalate und Brötchen auf den Tischen werden nicht angerührt.

Vielleicht gibt es die Misere der Vorlesunge­n nicht mehr. Und so bin ich schon neugierig auf die nächsten, die ich mir für meinen ersten Studientag seit fast 14 Jahren vorgenomme­n habe. Doch es kommt anders. Die Türen zu den Hörsälen stehen zwar weit offen, doch dahinter gibt es kurz vor Ende der Vorlesungs- und Beginn der Prüfungsze­it vor allem leere Sitzreihen. So erfahre ich nichts über Zell- und Molekularb­iologie. Als ich mich in einen Hörsaal schleiche, um „Kunst in der Diktatur“zu hören, platze ich in eine Klausur hinein. Warum war kein Zettel mit „Prüfung“an der Tür angebracht worden?

Doch ich will den Vorlesungs­tag an der Uni nicht aufgeben und folge einem Studenten in einen Hörsaal. Auf der Stuhllehne vor mir steht: „Ich habe dicke Ohren und Eier.“Die Dozentin und ihre Studenten kommen gerade überein, dass es wichtig ist, dass Studenten bei ihren Hausarbeit­en und Prüfungen ihre Interessen einbringen können. Und ich erinnere mich daran, wie Dozenten immer wieder verlangten, sich mit dem „American Dream“im „Großen Gatsby“oder mit dem Frauenbild in Romanen wie „The Portrait of a Lady“zu beschäftig­en...

Der Weg zurück in den Hörsaal ist voller Überraschu­ngen. Mauern wurden eingerisse­n. Auf dem Weg in die überfüllte Bahn höre ich einen Dozenten zu einem Studenten sagen: „Schreiben Sie mir eine Mail, ich antworte meist am gleichen Tag.“Früher hieß es noch: „Kom- men Sie in meine Sprechstun­de.“Und oft wartete man vergebens, um dran zu kommen. Aber damals waren Studentena­usweise ja auch noch aus Papier und das Modem piepste, wenn man sich ins Internet einwählte.

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RP-FOTO: SEMI Gibt es die Mauer zwischen Studenten und Professore­n in Vorlesunge­n vielleicht nicht mehr?
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